Sächsischer Ersatzkassenverband kritisiert fehlende Neuausschreibung der Luftrettung
24.07.2017
Dresden / Chemnitz (SN) :: Gefährdet eine fehlende Neuausschreibung der Luftrettung Notfalleinsätze im Freistaat? Offenbar ja! Diesen Eindruck könnte man zumindest auf den ersten Blick gewinnen. In der vergangenen Woche titelten die “Freie Presse“ (Chemnitz) “Dünne Luft für Sachsens Rettungshubschrauber?“, die “Sächsische Zeitung“ (Dresden) “Verband sieht Luftrettung in Sachsen gefährdet“ (siehe Weblink im Kontextbereich dieser News) und der öffentlich-rechtliche Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) “Sachsens Luftrettung wackelt“. Selbst die Fachzeitschrift für präklinische Notfallmedizin “Rettungsdienst“ (Edewecht) machte mit “Fehlende Neuausschreibung gefährdet Luftrettungszentren“ auf.
Bunte Vögel gab es auch in der sächsischen Luftrettung: hier die durch die RTL-Serie “Medicopter 117“ bekannte BK 117 im Leiheinsatz für die IFA
Foto: Michael Butz (Archiv)
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Wenn man allerdings die Entwicklung in Sachsen im Bereich Rettungswesen in den letzten Monaten aufmerksam verfolgt hat und sich in der Luftrettung auskennt, dann kann man diese eher rhetorische Frage mit einem klaren Nein beantworten. Nun: Was war geschehen? Am Montag, den 17. Juli 2017 hatte die Landesvertretung Sachsen des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) eine Pressemitteilung unter dem Titel “Flügellahme Luftretter? Fehlende Neuausschreibung gefährdet Notfalleinsätze in Sachsen“ veröffentlicht, die wie eine Bombe bei den nicht nur am sächsischen (Luft-)Rettungsdienst beteiligten Behörden und Organisationen einschlug. Nachstehend finden Sie zunächst die erwähnte Pressemitteilung der vdek-Landesvertretung Sachsen vom Montag im Wortlaut (siehe auch Weblink im Kontextbereich dieser News:
Flügellahme Luftretter? Fehlende Neuausschreibung gefährdet Notfalleinsätze in Sachsen
Dresden. Sachsens Rettungshubschrauber drohen flügellahm zu werden. Zum Jahresende laufen die meisten Verträge des sächsischen Innenministeriums mit den Betreibern der Luftrettungsstationen aus. Kommen neue Vereinbarungen nicht rechtzeitig zustande, bleiben nach Einschätzung des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek) die Hubschrauber am Boden.
„Ohne Zahlungsgrundlage können die Krankenkassen die Einsätze nicht weiter finanzieren“, beschreibt die Leiterin der vdek-Landesvertretung Sachsen, Silke Heinke, die Situation. Der Betrieb für die Stationen muss nach sieben Jahren Laufzeit neu ausgeschrieben werden. Diese Ausschreibung durch die verantwortliche Landesdirektion lässt auf sich warten.
„Die Krankenkassen haben auf ihr mehrmaliges Drängen bislang keine Zusage erhalten, dass es in der Sache vorangeht“, erklärt die sächsische vdek-Chefin. „Die Ausschreibung muss jetzt kommen. Die Landesverwaltung gefährdet durch einen fehlenden Fahrplan höchst dringende und zeitkritische Rettungseinsätze.“
Der Ersatzkassenverband kalkuliert für das gesamte Vergabeverfahren die Dauer von etwa einem Jahr. Die Anforderungen an Technik und Personal müssten formuliert werden, dann folge die Bewerbungs- und Auswahlphase. Haben die ausgewählten Luftrettungsunternehmen den Zuschlag erhalten, benötigten diese selber noch einige Monate für Vorbereitungen.
Mehrere Lösungen sind denkbar, den Flugbetrieb über den 31.12.2017 hinaus provisorisch aufrechtzuerhalten, so Heinke. „Aber auch hier gilt das Wettbewerbsrecht. Die verschiedenen Anbieter der Flugrettung [FRI: gemeint ist “Luftrettung“, nur in Österreich und Südtirol spricht man von “Flugrettung“] beobachten das Marktgeschehen sehr genau. Das Problem einfach auszusitzen, wird nicht funktionieren.“
Rettungshubschrauber starten in Sachsen von Stationen in Bautzen, Dresden, Leipzig und Zwickau. 2016 flogen die Luftretter insgesamt 5.600 Einsätze.
Der dpa-Landesdienst Sachsen hatte noch am gleichen Tage eine verkürzte Meldung verbreitet, in der allerdings die vom vdek aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten nicht erwähnt wurden (siehe Weblink im Kontextbereich dieser News). Prompt veröffentlichten “Sächsische Zeitung“ sowie andere regionale und überregionale Medien unter den oben genannten reißerischen Überschriften die verkürzte oder nur unwesentlich ergänzte dpa-Meldung, ohne auf die eigentlichen Absichten der sächsischen vdek-Landesvertretung hinzuweisen, nämlich dass öffentlich erzeugter Druck vonnöten sei, um die gesetzlich vorgeschriebenen Ausschreibungen der sächsischen Luftrettungsstützpunkte auf den ihrer Meinung nach richtigen Weg zu bringen.
Die vdek-Landesdirektion Sachsen sieht sich nämlich (auch) als politische Interessenvertretung und hat nun das Heft des Handelns übernommen, nachdem ihre Vertreter bei Sitzungen zum Thema “Ausschreibung“ immer wieder vertröstet worden seien, heißt es auf Anfrage von rth.info dazu von der vdek Sachsen. Der Zeitpunkt Mitte Juli sei bewusst gewählt worden, da die Verträge mit den beiden Luftrettungsbetreibern ADAC Luftrettung und DRF Luftrettung optionale Verlängerungen bis zum 30. Juni 2018 bzw. 31. Oktober 2018 (der Vertrag in Bautzen endet laut vdek erst am 31. Mai 2018, allen anderen bereits zum 31.12.2017) beinhalte und die Ausschreibungen rund ein Jahr für sich in Anspruch nähmen. Es sei also jetzt an der Zeit, in die Puschen zu kommen, so Peter Voigt, Referatsleiter Notfallrettung bei der vdek Sachsen, gegenüber rth.info.
Bis Ende 2001 flog Elbe Helicopter von Bautzen aus, dann übernahm die ADAC Luftrettung in Ostsachsen
Foto: Klaus Heller – amleben.de
Im Januar 2006 fand der vielbeachtete Wechsel vom BGS zur DRF statt
Foto: Ulrich Schröer/BBK
Der Pressesprecher der vom vdek kritisierten Landesdirektion Sachsen (LDS), die als obere Landesbehörde für die Ausschreibung der Luftrettung zuständig ist, wollte sich auf Anfrage von rth.info nicht weiter äußern und verwies auf die bereits am Montagnachmittag (17.07.2017) auf der Website der LDS veröffentlichte Pressemitteilung 043/2017. Auch diese geben wir hier im Original wieder (siehe auch Weblink im Kontextbereich dieser News):
Die Notfallrettung aus der Luft wird auch ab 2018 in Sachsen abgesichert sein
Mit Bezug auf eine Pressemitteilung des Verbandes der Ersatzkassen e.V. zum Luftrettungsdienst in Sachsen vom heutigen Tage teilt die Landesdirektion Sachsen (LDS) mit, dass die Notfallrettung aus der Luft im Freistaat auch ab Jahresbeginn 2018 kontinuierlich fortgesetzt wird.Die LDS bereitet die mit Auslaufen der gegenwärtigen Verträge zum Jahresende 2017 bzw. Mai 2018, erforderliche Neuausschreibung des Dienstes momentan vor und tauscht sich dabei mit allen beteiligten Akteuren aus. Bei einem Treffen Anfang Juli 2017 mit den Kostenträgern hat auch ein Vertreter des Verbandes der Ersatzkassen teilgenommen.
Das angelaufene Vergabeverfahren hat zu klären, wer in den folgenden sieben Jahren von den vier Stationen in Sachsen aus zu Luftrettungseinsätzen starten wird. Zu Inhalten des laufenden Verfahrens wird in der dafür vorgesehenen Form und zum erforderlichen Zeitpunkt durch die LDS informiert werden. Die Konsultationen mit den beteiligten Stellen werden im laufenden Verfahren auch weiterhin im rechtlich möglichen und notwendigen Maß stattfinden.
Auf Grund des komplexen Vergabeverfahrens kann die komplette Neuvergabe der zum Jahresende 2017 auslaufenden Verträge voraussichtlich nicht abgeschlossen werden. Der kontinuierliche Betrieb des Luftrettungsdienstes in Sachsen würde in diesem Fall durch rechtskonforme Zwischenlösungen abgesichert.
Interessant an dieser Pressemitteilung der LDS ist, dass dies so ähnlich gegenüber Dritten bereits im Oktober 2016 geäußert wurde. Nachfragen wurden fast immer gleichlautend beantwortet: “[A]ktuell befinden wir uns [noch immer] im Vorbereitungsstadium“, hieß es seitens der LDS-Pressestelle bereits im November 2016 und zuletzt am 19. Mai 2017 auf Anfrage von rth.info.
Hinter vorgehaltener Hand werden Personalengpässe in der LDS als Grund für die zeitlichen Verzögerungen genannt, bestätigen wollte der LDS-Pressesprecher dies gegenüber rth.info jedoch nicht. Auch die Pressestelle des Sächsischen Ministeriums des Innern sah sich außerstande, hierzu Stellung zu nehmen. Man müsse hierzu erst Rücksprache mit der Fachebene halten und das dauere seine Zeit, hieß es am Dienstagnachmittag aus Dresden. Am Mittwochvormittag folgte per E-Mail dann die Mitteilung aus der Pressestelle, dass man die Anfrage zuständigkeitshalber an das zuständige LDS in Chemnitz weitergeleitet habe – Ergebnis: siehe oben!
Vorher war der Bundesgrenzschutz in der sächsischen Landeshauptstadt tätig
Foto: Patrik Kallinowski
Und was sagen die Luftrettungsbetreiber dazu?
Während die Pressesprecherin der DRF Luftrettung am Dienstagnachmittag (18.07.2017) mitteilte, dass die DRF Luftrettung keine Stellungnahme zu der vdek-Pressemitteilung veröffentlichen werde und auf die Zuständigkeit der LDS verwies, erreichte den Verfasser bereits am Montagnachmittag (17.07.2017) eine Stellungnahme der ADAC Luftrettung gGmbH zum Thema, deren Wortlaut wir Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten möchten:
„Die Verträge laufen im Dezember aus,“ bestätigt auch Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung, betont aber zugleich: „Wir stehen stets zur Verfügung, wenn es darum geht den Luftrettungsdienst aufrecht zu erhalten. Wenn es darum geht Menschenleben zu retten, lassen wir niemanden im Stich.“
Die ADAC Luftrettung gGmbH hat in Sachsen drei stationierte Rettungs- und Intensivhubschrauber, die im vergangenen Jahr bei 3.387 Notfällen im Einsatz waren. Dabei wurden 3.160 Patienten versorgt.
Mit 1.169 Einsätzen war der in Bautzen stationierte „Christoph 62“ am häufigsten unterwegs. Er ist nicht nur 24 Stunden am Tag im Einsatz, er ist auch einer von bundesweit nur vier ADAC Rettungshubschraubern, die mittels spezieller Technik Verunglückte aus unwegsamem Gelände bergen können. Mit der Umstellung vom Bergetau auf die neue Rettungswinde ist dies seit diesem Jahr noch schneller möglich. Die in Leipzig stationierten „Christoph 61“ und „Christoph 63“ wickelten 1.174 bzw. 1.074 Einsätze im Jahr 2016 ab.
In Dresden fliegt heute der RTH “Christoph 38“ der DRF Luftrettung
Foto: Johannes Herrmann
In Sachsen ist zwar die JUH zwar im bodengebundenen Rettungsdienst vertreten, nicht aber in der Luftrettung. Das soll sich nach dem Willen der Johanniter Luftrettung ändern (hier der 24-Stunden-Dual-Use-ITH “Christoph Gießen“ an seiner Homebase
Foto: Jörn Fries
Während von der Björn Steiger Stiftung Luftrettung gGmbH keine offizielle Stellungnahme zu erhalten war, teilte die Johanniter Luftrettung auf Anfrage von rth.info mit, dass sie sich verwundert ob der Untätigkeit der LDS in Sachen Ausschreibung zeige. CEO Günther Lohre habe die Berichterstattung zum Anlass genommen, um dem Sächsischen Ministerium des Innern bzw. der Landesdirektion Sachsen die Bereitschaft seiner Organisation zur Teilnahme an den Ausschreibungen kundzutun bzw. die Mitwirkung am sächsischen Luftrettungsdienst nach dem 1. Januar 2018 anzubieten.
Es bleibt also auch weiterhin spannend in Sachen “Ausschreibung der Luftrettung in Sachsen“! rth.info wird die Entwicklung auch weiterhin kritisch-konstruktiv begleiten.
Die in Bautzen stationierte BK 117 mit Bergetau wurde vom ADAC jüngst durch eine H145 mit Rettungswinde ersetzt
Foto: Jörn Fries
Unheilige Allianz? – ein Standpunkt
Noch in den späten 1990er Jahren, als sich die Luftrettung auch im Freistaat Sachsen etabliert hatte, herrschte dort eine im wahrsten Wortsinne bunte Vielfalt: In Bautzen flog die Firma Elbe-Helicopter mit einer gelb-roten BK 117, die Internationale-Flug-Ambulanz (IFA) in Leipzig mit roten, rot-weißen oder silberfarbigen BK 117, EC 135 und/oder MD 900/902, in der Landeshauptstadt Dresden flog der Bundesgrenzschutz bzw. das Bundesinnenministerium (heute BPOL/BBK/BMI) mit einer orangen BO 105 CBS-5 und in Zwickau hatte die Deutsche Rettungsflugwacht e. V. (DRF) ihre BO 105 CBS-5 im weiß-roten, später rot-weißen CorporateDesign stationiert.
In Dölzig-Schkeuditz sind gleich zwei RTH der ADAC Luftrettung stationiert (vorne der “Christoph 61“, hinten der seinerzeit noch als “Christoph Leipzig“ bezeichnete “Christoph 63“)
Foto: Jörn Fries
Die Johanniter Luftrettung (hier der ITH “Christoph Rostock“) liebäugelt auch mit einem Standort im Freistaat
Foto: Tobias Kleiin
... und DRF Luftrettung (hier der RTH “Christoph 46“ an seiner Homebase in Zwickau) teilen sich derzeit den sächsischen Luftrettungsmarkt auf
Foto: Jörn Fries
ADAC Luftrettung (hier der RTH “Christoph 61“ an seiner Homebase in Dölzig-Schkeuditz) ...
Foto: Jörn Fries
Mit der Internationalen-Flug-Ambulanz (IFA) fing im April 1990 alles in Sachsen an (hier die später eingesetzte EC 135)
Foto: Michael Butz (Archiv)
Heute dominieren ADAC Luftrettung mit ihren beiden Standorten Dölzig-Schkeuditz (dort, an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt, sind gleich zwei gelbe RTH stationiert) und Bautzen (dort wurde vor Kurzem die langjährige BK 117 mit Longline durch eine hochmoderne H145 mit Rettungswinde ersetzt) und DRF Luftrettung mit ihren beiden Standorten Dresden (am Flughafen ist die EC 135 in unmittelbarer Nähe zur Hubschrauberstaffel der Landespolizei beheimatet) und Zwickau (dort wird der Landeplatz nach den aktuell gültigen EU-Regeln für den gewerblichen Luftverkehr umgebaut) die Luftrettung in Sachsen. An EU-weiten Ausschreibungen dürfte ihnen nicht viel liegen. Denn am Ende des Tages könnte ja ein anderer als die beiden Platzhirsche der bundesdeutschen Luftrettung zum Zuge kommen. Zuletzt, beispielsweise in Angermünde (DRF), Augsburg (ADAC), Dinkelsbühl (ADAC) und Fulda (ebenfalls ADAC), konnte man das Eindringen unerwünschter Dritter noch verhindern. Ob diese Marktbeherrschung allerdings kartellrechtlich in Ordnung ist, dürfte ein Fall für die obersten Wettbewerbshüter werden.
Wettbewerb tut gut, er reguliert die (Flugminuten-)Preise und verhindert Marktbeherrschung durch nur Wenige. Wer meint, den (Luft-)Rettungssektor vom Wettbewerb ausnehmen zu wollen, der muss Gesetze ändern. Aber solange diese in der vorliegenden Form gültig sind, hat man sich daran zu halten. Dies gilt aktuell auch für die LDS in Chemnitz, die allerschnellstens ihre Hausaufgaben zu erledigen hat. Denn man kann auch durch aktives Unterlassen die Zukunft der Luftrettung gefährden!
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