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15. Fachtagung Luftrettung – Klarheit oder nur offene Fragen? (Teil 3)

10.01.2014

In dieser Reportagenserie sind erschienen:

Vom 29.-31. Oktober 2013 fand – nach sechs Jahren Pause und 40 Jahre nach der 1. Fachtagung im Jahr 1973 in Aying – die 15. Fachtagung Luftrettung statt. Rund 400 Teilnehmer aus Notfallmedizin, Technik, Organisation, Industrie, Politik und Verwaltung waren der Einladung der beiden Geschäftsführer der ADAC Luftrettung gGmbH, Susanne Matzke-Ahl und Frédéric Bruder, gefolgt und kamen nach Mainz in die dortige Rheingoldhalle.

Auch am dritten und letzten Tag der 15. Fachtagung Luftrettung (Donnerstag, den 31.10.2013) war das Programm noch mit zahlreichen interessanten Vorträgen gespickt. Auch wenn sich bei manchen Teilnehmern eine gewisse Tagungsmüdigkeit bemerkbar machte, wurden vorsichtige Blicke in die Zukunft gewagt.

Netzwerk- und Zentrenbildung

Die ersten beiden Themenblöcke waren dem Thema “Netzwerk- und Zentrenbildung“ gewidmet. Dr. Michael Bayeff-Filloff aus dem Klinikum Rosenheim, zugleich Landesbeauftragter der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in Bayern, besann sich auf den ersten Vortrag der Tagung am 29. Oktober: Die Veränderung der Altersstruktur aber auch des Freizeitverhaltens führe zu einem überproportionalen Anstieg der Rettungsdiensteinsätze im Vergleich zur allgemeinen Zunahme der Erkrankungen. Auch wenn es nicht kommuniziert werde, so zögen sich immer mehr Kliniken aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen aus der Notfallversorgung zurück. Eine geringere Verfügbarkeit bei konservativen Intensivbetten führe demnach zu längeren Anfahrtszeiten für den Rettungsdienst. Dies mache einen (Betten-)Kapazitätsnachweis für Rettungsleitstellen unabdingbar. Die Veränderungen in der Krankenhauslandschaft induzieren eine deutliche Konzentration der Tracerdiagnosen Schlaganfall, Herzinfarkt und Polytrauma auf Kliniken der Schwerpunkt- und Maximalversorgung. Eine Netzwerkbildung, wie z. B. das Traumanetzwerk der DGU oder die Allianz Akute Schlaganfallversorgung Bayern, beeinflussten die Wahl der Zielklinik und des Rettungsmittels und somit die Transportzeit, so Bayeff-Filloff weiter.

Die oben angesprochenen Versorgungsnachweise können durch die Implementation von DENIT oder IVENA eHealth erbracht werden. Diese beiden unterschiedlichen Systeme wurden in der Folge von Dr. Thomas Luiz vom Fraunhofer IESE (Kaiserslautern) und von Hans Georg Jung vom Hessischen Sozialministerium (Wiesbaden) vorgestellt. Dr. Christoph Wölfl vom ADAC-Luftrettungszentrum „Christoph 5“ (Ludwigshafen) stellte die Frage, in wieweit überhaupt die Kliniken für die Akutversorgung gerüstet seien. Er kritisierte unter anderem weniger sinnvolle Landeplatz-Neubauten wie am Universitätsklinikum in Heidelberg, die zwar nach den neuesten flugbetrieblichen Bestimmungen gebaut wurden, jedoch immer noch großen Zeitverlust beim Transport in den Schockraum verursachen würden. Darüber hinaus müssten Landeplätze auch flächendeckend für den Nachtbetrieb zugelassen sein. Ohnehin wurde im gesamten Verlauf der Tagung mehrmals betont, dass Krankenhäuser, die im Traumanetzwerk der DGU sein möchten, über einen 24-Stunden-Dachlandeplatz mit direkter Schockraumanbindung verfügen müssen.

An vielen Krankenhäusern muss der Patient erst vom RTH in einen RTW verbracht werden, bevor dieser die Zentrale Notaufnahme erreicht (hier die Situation am RTH-Standort “Christoph 15“ beim Straubinger Klinikum)

An vielen Krankenhäusern muss der Patient erst vom RTH in einen RTW verbracht werden, bevor dieser die Zentrale Notaufnahme erreicht (hier die Situation am RTH-Standort “Christoph 15“ beim Straubinger Klinikum)

Foto: Jörn Fries

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Die Diskussion um Krankenhauslandeplätze dauert mit Unterbrechungen mittlerweile seit Ende der 1990er Jahre an und wird mit den neuen EU-OPS 965/2012 aktuell wieder neu befeuert. Der anerkannte Experte für Hubschrauberlandeplätze und ehemalige Leiter des Bundespolizei-Flugdienstes Gunter Carloff (Essen) nahm dies zum Anlass, einen Vortrag über die neuen Vorgaben für Krankenhauslandeplätze zu halten. Neu ist hier, dass künftig zwischen luftrechtlich zertifizierten Landeplätzen und geduldeten, aber luftrechtlich nicht zugelassenen „Landestellen für die Notfallrettung“ unterschieden wird. Letztere werden nach den neuen Vorgaben „Public Interest Sites“ genannt und müssen folgende Auflagen erfüllen: ausschließlicher Betrieb bei Tageslicht, die Landestelle muss sich am Boden befinden, maximal 100 Flugbewegungen im Jahr und die Landestelle muss sich bereits vor dem 1. Juli 2002 in Benutzung befunden haben. Ferner muss ein Betriebshandbuch vorliegen, das Risiken, Verfahren, und einen Notfallplan ausweist. Insgesamt sollen in Deutschland mehr als 1.000 Krankenhäuser ohne genehmigte Landestellen sein.

Gunter Carloff referierte über die neuen Vorgaben für Krankenhauslandeplätze

Gunter Carloff referierte über die neuen Vorgaben für Krankenhauslandeplätze

Foto: Felix Troschier

Im Gespräch mit rth.info äußerte Carloff weiter, dass Krankenhausbetreiber mittlerweile die Kosten und Mühen scheuen würden, selbst als Flugplatzbetreiber zu agieren und daher bereits vorhandene Genehmigungen erlöschen lassen hätten. Landeplätze, die bereits über eine Genehmigung verfügten, fielen jedoch nicht unter die „Public Interest Site“-Regelung. Hier bleibe nur die Neubewertung, Neuzulassung und ggf. Anpassung, so Carloff. Welche Kosten dadurch auf betroffene Kliniken zukommen, müsse im Einzelfall bewertet werden.

Ferner gäbe es auch nach wie vor Schwachpunkte in der Erfassung der Landeplätze. Zwar gibt der Band H der AIP (Aeronautical Information Publication – Handbuch für Luftfahrer) Aufschluss über vorhandene Hubschrauberlandeplätze und Landestellen, jedoch ist es schwierig, diese Publikation immer aktuell zu halten und mit den wirklich relevanten Informationen (Hindernissituation usw.) auszustatten. Carloff brachte daher eine webbasierte Datenbank ins Gespräch. Die im alpinen Raum weit verbreitete Homepage www.helipad.org wurde hier beispielhaft erwähnt.

In der nachfolgenden Podiumsdiskussion wurde die Luftrettung bei Nacht wieder aufgegriffen, obwohl dies laut Programm so nicht intendiert war. Aus der flugbetrieblichen Sicht betonte Gerhard Wittmann von der ADAC Luftrettung (München), dass die Luftrettung zwar generell bereit dafür sei, man aber den Ausbildungsaufwand für die NVG-Befähigung (“Night Vision Goggle“/BIV = Restlichtverstärker) nicht unterschätzen dürfe. Im Schnitt dauere es 9 bis 12 Monate, bis ein Pilot mit Nachtsichtbrillen fliegen könne. Ebenfalls gelte es, die Kostenseite zu beachten und eine geeignete Landeplatzinfrastruktur zu schaffen, so Wittmann weiter. Henri Kaersten vom Luftfahrtbundesamt aus Braunschweig forderte: „Wenn Night Operations in der Luftrettung stattfinden, dann müssen sie in jedem Fall sicher sein“. Steffen Lutz, Vorstand der DRF Luftrettung (Filderstadt), betonte die Sicherheit der Finanzierung: „Alle müssen mit ins Boot“. Eine Bedarfsanalyse werde derzeit mit „Christoph Hessen“ durchgeführt, so Martha von Westerholt aus dem Hessischen Sozialministerium (Wiesbaden). Matthias Ruppert (München) forderte abschließend eine strenge Indikationsstellung bei nächtlichen Primäreinsätzen.

Gerhard Wittmann forderte die Schaffung einer geeigneten Landeplatzinfrastrukktur für die Luftrettung bei Nacht

Gerhard Wittmann forderte die Schaffung einer geeigneten Landeplatzinfrastrukktur für die Luftrettung bei Nacht

Foto: Jörn Fries

Hot Topics – Latest News

Im Themenkomplex „Hot Topics – Latest News“ stellte Jo Weigt von der DRF Luftrettung (Filderstadt) zunächst das neue Ausstattungskonzept für die kommenden EC 145 T2 vor. Die medizinische Ausstattung wird von der Schweizer Firma Bucher entwickelt und produziert und weist einige Innovationen auf. Zum ersten Mal wird der Patient nicht auf der in Flugrichtung linken Seite des Hubschraubers transportiert, sondern genau seitenverkehrt auf der rechten. Dies hat vorwiegend ergonomische Gründe. Ein neuartiger Schrank schafft Platz für den Notfallrucksack, der sonst auf der Patiententrage oder auf freien Sitzen mitgeführt wurde. Zugleich verfügt der Schrank über eine ausklappbare Tischfläche die ein Arbeiten am offenen Rucksack ermöglicht oder als Schreibunterlage genutzt werden kann. Das Beleuchtungskonzept ist voll NVG-tauglich und erhellt auch die Ladezone sowie Ein- und Ausstiegsbereich. Binnen geringer Zeit lässt sich die Ausstattung von „Inter Hospital Transport“ für andere Einsatzzwecke wie „Urban / Rural / Highway HEMS“, „Alpine / Maritime SAR“ umrüsten oder mit einem „Disaster Management Kit“ versehen. Letzteres ist eine reduzierte Ausstattung zum Transport von zwei liegenden Patienten.

Neben den technischen Neuerungen gilt es jedoch fast als größere Innovation, dass DRFL und ADAC Luftrettung sich vertraglich darauf geeinigt haben, die gleiche Ausstattung zu beschaffen und gleichermaßen zur Entwicklung des Interieurs beizutragen. Neben einer Bündelung von Kompetenzen und einer Standardisierung spare dies vor allem Entwicklungskosten, so Weigt. Nach Einschätzung von rth.info kann dies für künftige Beschaffungsvorhaben durchaus Vorbildcharakter besitzen. Bisher war es so, dass jeder Betreiber bei der Wahl der Ausstattung seine eigenen Wege ging. Die unterschiedlichen Rüstsätze bei den EC 135 verdeutlichen dies eindrucksvoll. Laut Weigt würde sich die Übergabe der ersten EC 145 T2 aber noch bis mindestens Juli 2014 verzögern.

Thomas Unger vom ADAC e.V., Technik Zentrum Landsberg berichtete über die Gefahren-Analyse von Lawinen-Airbag-Systemen in der alpinen Luftrettung. Dabei stellte er eine Versuchreihe vor, be der ein unbeabsichtigtes Auslösen des Airbags-Rucksack in der Kabine einer BK 117 zunächst mit Dummies und später mit lebenden Versuchspersonen demonstriert wurde. Er kam zu dem Ergebnis, dass keine Gefahr für Mensch und Material bestünde, selbst wenn die Airbags von Notarzt oder HCM versehentlich ausgelöst werden würden. Trotz beengter Platzverhältnisse könne die Besatzung die Kabine verlassen. Auch bei einem Szenario, in dem HCM und Bordtechniker in der Windentür sitzen bzw. stehen und irrtümlich ein Rucksack ausgelöst werde komme man zum gleichen Ergebnis. Ob jedoch ein Winchvorgang mit aufgeblasenen Luftkissen gefahrlos möglich ist, müsse noch durch weitere versuche bestätigt werden. Prinzipiell gäbe es aber keine Bedenken, die gegen das Mitführen von rucksackgebundenen Lawinen-Airbag-Systemen in der Luftrettung sprechen würden. Unger gestaltete seine Praxisdemonstration des Systems gleichermaßen anschaulich und unterhaltsam. Den vormittäglichen Themenblock schloss Priv.-Doz. Dr. Johannes Winning (Jena) mit einem Referat über den “Stellenwert der Sepsis im (Luft-)Rettungsdienst“ ab.

Thomas Unger vom ADAC-Technikzentrum Landsberg demonstrierte ein Lawinen-Airbag-System

Thomas Unger vom ADAC-Technikzentrum Landsberg demonstrierte ein Lawinen-Airbag-System

Foto: Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

Human Resource Management

Nach der Mittagspause ging es im nächsten Themenblock um das immer wichtiger werdende Thema “Human Resource Management“. Oberfeldarzt Jens Schwietring vom BwZKhrs Koblenz als erster Redner verwies auf ein mögliches Nachwuchsgewinnungsproblem durch gestiegene Anforderungen an den Hubschraubernotarzt. Vor allem weil man in der Luftrettung insbesondere dem Polytrauma und der Thoraxdrainage zeitlich gesehen deutlich früher als Diagnose bzw. Maßnahme im Einsatz begegne als im bodengebundenen Rettungsdienst, fordern die Fachgesellschaften Facharztqualifikation und einen hohen Erfahrungshintergrund. Provokativ stellte er die Frage, ob man in 38,5 Stunden Wochenarbeitszeit überhaupt das ausbilden könne, was man für die Luftrettung brauche, und wer bei sinkender Nettoarbeitszeit überhaupt noch zur Verfügung stehe. Das Portfolio an benötigten Kompetenzen wachse unweigerlich (z. B. palliativmedizinische Kompetenz oder technische Kompetenzen in der präklinischen Sonografie), und man müsse daher die Frage stellen, ob man überhaupt noch geeignetes Personal findet, das seinen Dienst auf dem RTH versehen könne. Schwietring belegte das zuvor Gesagte eindrucksvoll mit in den Jahren 2007 bis 2013 erhobenen Zahlen aus dem ADAC-Luftrettungszentrum “Christoph 23“ in Koblenz.

Jens Schwietring beeindruckte mit Erhebungen seines Koblenzer Rettungszentrums

Jens Schwietring beeindruckte mit Erhebungen seines Koblenzer Rettungszentrums

Foto: Jörn Fries

Im Anschluss daran referierte Gerhard Wittmann von der ADAC Luftrettung (München) über die veränderten Anforderungen im Cockpit der Zukunft. Piloten seien noch weniger als ohnehin schon „tollkühne Flieger“ sondern „Systemmanager“. Wittmann verwies dabei insbesondere auf die EC 145 T2, die über einen 4-Achsen-Autopiloten, eine Schwebeflugautomatik und ein neues Instrumentenbrett mit noch fortschrittlicheren Multifunktionsdisplays verfügen wird. Hinzu käme ein HTAWS-Bodenwarnsystem (Helicopter Terrain Awareness and Warning System) als Umsetzung einer Forderung für den Nachtflugbetrieb. Künftig werden auch in Deutschland GPS-gestützte Präzisionsanflüge auf Hubschrauberlandeplätze mit Hilfe von EGNOS möglich sein. Die Liste künftig möglicher Unterstützungssysteme wie integrierte Helmdisplays, elektronische Kniebretter sowie der Einsatz von FLIR reiche dabei noch weiter. Trotzdem gelte es auch Fragen nichttechnischer Natur zu klären, wie die schon mehrfach angesprochene „Age 60-Regelung“, die Frage nach zukunftsfähigen Schichtmodellen, nach den neuen Vorgaben bezüglich der Flugdienst und Ruhezeiten und natürlich auch nach der Gewinnung geeigneten Pilotennachwuchses.

“Von der Crew zum Team“ lautete der Titel des Vortrags von Bernd Lang vom ÖAMTC (Wien). Wie auf einem Schachbrett seien in der “Flugrettung“ (österr. für Luftrettung) alle Figuren (Pilot und HCM sowie Notarzt als “medical passenger“) miteinander verbunden, wobei die Querverbindungen nicht immer alle sichtbar seien.

„Luftrettung – quo vadis?“

... hieß es im abschließenden Themenblock. Prof. Dr. Manfred Hajek vom Lehrstuhl für Hubschraubertechnik an der TU München wagte hier einen Ausblick in die Zukunft der Drehflüglertechnik. Zunächst konnte er das Auditorium darin beschwichtigen, dass die pilotenlose Rettungsdrohne zumindest in den nächsten 20-30 Jahren eine Illusion bliebe. Die speziellen Anforderungen und Risiken der Rettungsfliegerei seien im Moment einfach nicht ohne Mensch zu beherrschen. Nicht zuletzt aus Sicht der Kosten für die notwenige Software- und Sensorikausstattung sei ein autonomer RTH unrealistisch. Hajek betonte: „Forschung auf dem Gebiet des autonomen Fliegens ist notwendig, aber die Ziele müssen erreichbar sein“. Aktuelle Forschungsschwerpunkte seien daher umso mehr das Pilotensituatuionsbewusstsein und Pilotenassistenzsysteme. Hierzu führte Hajek in die Projekte an seinem Lehrstuhl ein und stellte den hauseigenen Simulator vor, in dem nicht nur Verfahren und Situationen mit hoher Pilotenbelastung nachgestellt, sondern auch Versuchseinbauten wie Assistenz-Displays, Side Sticks usw. eingerüstet werden können. Leitlinie des Instituts sei dabei immer die Erhöhung der Flugsicherheit. Dabei sei die Kooperation mit den Betreibern und Piloten unerlässlich für die anwendungsorientierte Forschung, so Hajek.

Prof. Dr. Manfred Hajek verglich den All-Weather-Hubschrauber mit einer Oberklasse-Limousine

Prof. Dr. Manfred Hajek verglich den All-Weather-Hubschrauber mit einer Oberklasse-Limousine

Foto: Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

Thomas Fleischmann vom Klinikum Salzgitter skizzierte noch einmal die mögliche künftige Entwicklung der Luftrettung in den sich verändernden medizinischen Rahmenbedingungen. Das Netz von Luftrettungsstationen würde dichter, dafür sinke aber durch Kliniksterben und Spezialisierung jenseits der Akutmedizin die Anzahl der Notaufnahmen. Er erläuterte seine fünf Thesen für eine de-eskalierende Versorgungsstruktur, wobei die Luftrettung unbestreitbare Vorteile bei der Umsetzung dieser Strategie mit sich bringe: “Die Luftrettung rettet Leben, die ohne Luftrettung nicht gerettet werden können.“ Seine Vision: mehr Luftrettung, weniger Notaufnahmen.

Thomas Fleischmann plädierte für mehr Luftrettung und weniger Notaufnahmen

Thomas Fleischmann plädierte für mehr Luftrettung und weniger Notaufnahmen

Foto: Jörn Fries

Zum Abschluss der Tagung gab Mit-Initiator Frédéric Bruder ein Statement zur künftigen strategischen Ausrichtung der Luftrettung ab, dem es an Klarheit nicht fehlte. Luftrettung sei kein Selbstzweck. Es ginge vorrangig darum, den medizinischen und auch den volkswirtschaftlichen Nutzen bedarfsorientiert richtig zu analysieren und für einen bedarfsgerechten Einsatz des Rettungsmittels zu sorgen. Die technische Umsetzung zur Abdeckung dieses Bedarfs sei dann erst der zweite Schritt. In diesem Sinne verwies Bruder auf einen Bedarf für die Luftrettung außerhalb der regulären Betriebszeiten und warb für eine Anpassung bzw. Ausweitung der Bereitschaftszeiten entsprechend des individuellen Bedarfs auch in die Nacht hinein. Technisch sei hier, so Bruder, schon deutlich mehr umsetzbar, als man landläufig denke. Dennoch könne ein zielgerichteter Einsatz nur dann erfolgen, wenn die Finanzierung und damit auch die Vorhaltung gesichert sei. In einem großen Abschlussplädoyer adressierte er Forderungen an die entsprechenden Stellen: Die Träger sollten (bundes-)einheitliche Qualitätsstandards erarbeiten, großflächigere Bedarfsanalysen erstellen und adäquate Vertragslaufzeiten ermöglichen. Die Kostenträger hielt er dazu an, Betrieb und Vorhaltung des Luftrettungssystems kostendeckend zu ermöglichen. Der Gesetzgeber solle sich mit seiner Überregulierung etwas zurückhalten und die tatsächlichen Risiken besser bewerten. Des Weiteren warb er für mehr Vertrauen in die Arbeit, die man leiste, denn „schließlich wisse man, was man tue“. Auch an die Hersteller wurde appelliert, bedarfsgerechte Hubschrauber mit „echten Leistungszugewinnen“ anzubieten, die kostenstabil, zuverlässig, leise und effizient seien sollten. Von den Praktikern in der Luftrettung forderte er die Flug- und Patientensicherheit als Leitziel, die Nutzung von wettbewerbsübergreifenden Synergien bei Entwicklungen, der Arbeit in Verbänden sowie in der Ausarbeitung von Standards. Ferner animierte er zur fortwährenden selbstkritischen Reflexion der eigenen Arbeit.

Mit-Initiator Frédéric Bruder las den Teilnehmern die Leviten

Mit-Initiator Frédéric Bruder las den Teilnehmern die Leviten

Foto: Jörn Fries

ADAC-Vizepräsident Thomas Burkhardt ergriff noch kurz das Wort und dankte Medical Director Dr. Erwin Stolpe und seinem Team für die Vorbereitungen und Durchführung der Fachtagung.

ADAC-Vizepräsident Thomas Burkhardt dankte Dr. Erwin Stolpe und seinem Team für die Organisation der Fachtagung

ADAC-Vizepräsident Thomas Burkhardt dankte Dr. Erwin Stolpe und seinem Team für die Organisation der Fachtagung

Foto: Jörn Fries

Mit einem kurzen launigen Schlusswort des eben Genannten endete die Veranstaltung am späten Donnerstagnachmittag:

Ich möchte mich bedanken bei allen Diskutanten, Moderatoren und Referenten für Ihre engagierte Arbeit und möchte Sie verabschieden und Ihnen eine gute und sichere Heimreise wünschen und hoffe, dass Sie auch bald wieder bei uns sein werden. Aber wenn Sie nach Hause fahren, fahren Sie vorsichtig: Man weiß nie, wer Dienst hat.

Dr. Erwin Stolpe, Medical Director der ADAC Luftrettung und zusammen mit Dr. Matthias Ruppert Wissenschaftlicher Leiter der Fachtagung, verabschiedete die verbliebenen Teilnehmer mit launigen Worten

Dr. Erwin Stolpe, Medical Director der ADAC Luftrettung und zusammen mit Dr. Matthias Ruppert Wissenschaftlicher Leiter der Fachtagung, verabschiedete die verbliebenen Teilnehmer mit launigen Worten

Foto: Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

Kommentar der rth.info-Redaktion

Wie bereits im zweiten Teil unserer Reportage versprochen, wollen wir die Veranstaltung als solche nicht unkommentiert lassen und erlauben uns daher, in einer persönlichen Rückschau zur gesamten Veranstaltung sowie zu einzelnen Themen Stellung zu beziehen.

Für den Ausrichter, die ADAC Luftrettung gGmbH, ist es zweifellos nicht einfach, einen Kongress mit einem derart disparaten Interessensgefüge wie im Bereich der Luftrettung zu planen und zu veranstalten. Möglichst alle sollen sich „unter einem Dach“ wohl fühlen. Dazu gehören die Praktiker, einerseits aus dem Flugbetrieb, andererseits aus den medizinischen Berufen ebenso wie die Vertreter aus der Politik, der Verwaltung, der Leitstellen, der Kostenträger und nicht zuletzt der Luftfahrt- und Medizingeräteindustrie.

Kongresse solcher Art sollen und können helfen, die unterschiedlichen Interessen zusammenzuführen. Ob das in Mainz wirklich der Fall war, bleibt indes offen. Trotz der vermeintlichen Breite der Themen war das Tagungsprogramm auffallend medizinisch und strukturpolitsch geprägt, und hier und dort hatte man das Gefühl, den unmittelbaren Bezug zur Luftrettung erst suchen zu müssen. Dies verstärkte den Eindruck, dass die verschiedenen „Zünfte“ eher unter sich blieben und ein wirklicher Dialog nicht stattfand. Diese Tatsache wurde nicht zuletzt dadurch befördert, dass das Tagungsprogramm sehr engmaschig war und auch die Pausen oft durch Zeitüberschreitungen der Referenten zu kurz ausfielen und so Gespräche untereinander nicht möglich machten. Bei kontroversen Themen war das Auditorium ebenfalls sehr zurückhaltend; Nachfragen und Diskussionen gab es kaum. Auch die Podiumsdiskussionen verliefen trotz offensichtlich konträrer Grundeinstellungen zu bestimmten Fragen überraschend harmonisch.

Es gab nur wenige kritische Rückfragen aus dem Auditorium

Es gab nur wenige kritische Rückfragen aus dem Auditorium

Foto: Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

Für den ein oder anderen Tagungsbesucher blieben Fragen offen, die nach Einschätzung der anwesenden Redakteure nicht minder relevant waren. So kommen wir gleich zum Motto: „Luftrettung – akutmedizinische Grundversorgung bei Tag und Nacht?!“ Hier weiß man nicht so recht, welches Satzzeichen am Ende eigentlich die Lage am besten beschreibt.

Gut, wir wissen, dass die ADAC Luftrettung gGmbH gerne die Bereitschaftszeiten ihrer RTH in die „Tagesrandlagen“ ausweiten und somit auch in der Dunkelheit Primärluftrettung betreiben möchte. Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass außer einer prinzipiellen Willensbekundung des Betreibers hier noch nicht viel vorliegt und die ADAC Luftrettung diese Rechnung ohne die weiteren Beteiligten gemacht hat. Auch wenn sich das Gastgeberland Rheinland-Pfalz für einen Modellversuch empfohlen hat, war von den anwesenden Vertretern aus Hessen und auch aus Baden-Württemberg eher Zurückhaltung zu erfahren: Man warte lieber noch konkrete Bedarfanalysen ab. Dass die Kostenträger bei den Absichten der ADAC Luftrettung mit ähnlicher Zurückhaltung reagieren, ist wenig verwunderlich. Die Frage des Personals kam hingegen überhaupt nicht zur Sprache: Was sagt die Belegschaft zu den Intentionen? Zumindest die Piloten können sich somit in der Mehrzahl von ihren gewohnten Arbeitszeitmodellen verabschieden. Wie wird mit Zweiflern in den eigenen Reihen umgegangen? Dass das fliegerische Personal in der ADAC Luftrettung organisiert ist und auch Forderungen durchsetzen kann, hat die Vergangenheit ja bereits gezeigt. Ein Zeit- und Aktionsplan bleibt ebenfalls völlig offen. Die Frage wäre hier: Wie viele Stationen sind in welchem Zeitrahmen hier von einer möglichen Umstellung betroffen? Schafft es der Betreiber, für diese Standorte ausreichend qualifiziertes Personal zu stellen?

Im Bezug auf die Ausweitung von Dienstzeiten ist die Zurückhaltung der DRF Luftrettung bemerkenswert: Obwohl ein Vertreter der DRF auf dem Podium saß, kam nicht deutlich zur Sprache, dass man in Filderstadt eher einen 24-Stunden-Ansatz favorisiert, so wie noch zuletzt in der eigenen Mitgliederzeitschrift klar zum Ausdruck gebracht wurde. Auch von Vertretern des Bundespolizei-Flugdienstes erfuhr man Zurückhaltung. Hier dürfte das Problem eher bei der Personaldecke zu suchen sein. Allerdings möchte das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) „die Wettbewerbsfähigkeit der ZSH erhalten und erhöhen“.

Alles in allem entsteht der Eindruck, dass die ADAC Luftrettung gGmbH mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte. Zum einen sorgt eine Ausweitung der Dienstzeiten in die Tagesrandzeiten für die Rechtfertigung eines Zweischicht-Systems, das zumindest in der Sommerzeit aufgrund der gekürzten Flugdienstzeiten ohnehin notwendig werden würde. Zum anderen könnte die ADAC Luftrettung ihre Primär-RTH trotz des technischen Aufwandes besser auslasten und zugleich eine Vorreiterrolle in der deutschen Luftrettung einnehmen.

Das mögliche Nachwuchsproblem in der Pilotenschaft wurde zwar kurz angeschnitten, aber ein Lösungskonzept wurde nicht präsentiert. Gerade im vergangenen Jahr hat die Bundeswehr viele Hubschrauberpiloten freigesetzt, allerdings verfügen diese zu einem Teil entweder nicht über die nötige Flugstunden-Mindesterfahrung oder sie sind gar überqualifiziert. Durch gestrichene Stellen und weniger Luftfahrzeuge in den Streitkräften wird man sich dort künftig auch weniger dem militärischen Personalpool bedienen können. Sollte es zu einer Ausweitung von Dienstzeiten und einer damit verbundenen Einführung eines Schichtsystems kommen, wird dadurch vermutlich ein zusätzlicher Bedarf an Piloten generiert, dessen Deckung weitestgehend unklar bleibt. Bekanntlich gibt es Kooperationen mit zivilen Flugschulen und auch Co-Piloten-Qualifizierungsprogramme, die eine militärische oder polizeiliche Ausbildung nicht obligatorisch machen. Aber vertieft wurde dies dennoch auf der Fachtagung nicht, obwohl die beiden großen zivilen Betreiber davon gleichermaßen betroffen sein müssten.

Auch im Bezug auf die umstrittene „Age 60-Regelung“ wurde lediglich gesagt, dass man weiter zusammen mit anderen Luftrettungsorganisationen an einer Studie arbeite, die den Gesetzgeber zu einer Ausnahmeregelung bewegen soll. Was passiert jedoch, wenn Letzteres nicht eintritt und plötzlich verdiente Rettungspiloten mit mehr als 60 Lebensjahren in den Zwangs-Ruhestand gehen müssen?

Wer eine Antwort auf diese und andere Fragen erwartet, wurde ebenso enttäuscht wie jemand, der zum Abschluss der Tagung ein Thesenpapier, einen Forderungskatalog oder gar ein Kommuniqué erwartet hätte, auch wenn der Abschlussvortrag von Frédéric Bruder hier in die richtige Richtung wies. Die Referenten berichteten in teilweise interessanten und informativen Vorträgen über ihre aktuelle Arbeit und Projekte. Häufig wurde ein Optimierungsbedarf aufgezeigt. Konkrete Lösungsansätze wurden dabei aber nicht immer aufgezeigt und wenn doch, dann wurden sie nicht oder nur in kleiner Runde diskutiert. Daher mögen Zweifel an der Gestaltungskraft der Fachtagung Luftrettung durchaus berechtigt sein. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen offensichtlich sowieso anderswo getroffen werden.

Felix Troschier (für die rth.info-Redaktion)

Mit-Initiatorin Susanne Matzke-Ahl stellte sich unmittelbar nach Ende der Fachtagung wie auch zuvor Frédéric Bruder den Fragen der drei Autoren

Mit-Initiatorin Susanne Matzke-Ahl stellte sich unmittelbar nach Ende der Fachtagung wie auch zuvor Frédéric Bruder den Fragen der drei Autoren

Foto: Felix Troschier

Wie rth.info am Rande der Fachtagung in Erfahrung bringen konnte, soll die nächste, dann 16. Fachtagung Luftrettung der ADAC Luftrettung gGmbH in vier Jahren stattfinden. Ort und genaues Datum stehen noch nicht fest.

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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