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Faszination Luftrettung

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100 Fuß über dem Meer. 150 Knoten. Kaum Sicht.

07.11.2012

In dieser Reportagenserie sind erschienen:

Die HM Coastguard ("Her Majesty's Coastguard") ist zuständig für die Suche und Rettung (Search and Rescue - SAR) von Personen in Not auf See oder bei Notfällen und aus Gefahr an der Küste.

Einsatz für die „Sikorsky S92“

Einsatz für die „Sikorsky S92“

Foto: Tobias Weimann

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19 Einsatzleitzentralen (Maritime Rescue Coordination Centres, MRCCs) sind 24h besetzt und organisieren alle Einsätze, die entweder über die Notrufnummer 999 bzw. 112 oder über Funk ankommen. Das Einsatzgebiet der britischen SAR-Einheiten umfasst mehr als 19.000 km Küste und ca. 3,2 Mio. km2 Meeresfläche. Folgende Ressourcen stehen den MRCCs zur Verfügung:

  • 362 Coastguard Rescue Teams
  • Search and Rescue Helicopter unter Vertrag mit MCA (Maritime and Coastguard Agency)
  • Rettungsboote der RNLI (Royal National Lifeboat Institution)
  • Search and Rescue Helicopter der Royal Navy und Royal Air Force
  • Gefahrgut-Einsatzteams für Chemieunfälle mit Schiffen
  • Strandrettungseinheiten
  • Berg- und Höhlenrettungsteams
  • Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst
Nebel, Wolken und schlechte Sicht ist keine Seltenheit für die Besatzung

Nebel, Wolken und schlechte Sicht ist keine Seltenheit für die Besatzung

Foto: Tobias Weimann

Die MCA unterhält 4 SAR-Hubschrauber-Standorte (Hubschrauber und Besatzung werden durch ein Privatunternehmen gestellt):

  • Stornoway (Sikorsky S92), 24h
  • Shetland (Sikorsky S92), 24h
  • Portland (Agusta Westland AW139S), nur tagsüber
  • Lee-on-the-Solent (Agusta Westland AW139S), 24h

Im Weiteren gehe ich hier am Beispiel der Basis Shetland auf die Coastguard-Hubschrauber ein. Der Hubschrauber in Shetland wird samt Besatzung im Auftrag der MCA von CHC Helicopter bis Juli 2013 gestellt. Auch die übrigen Coastguard- Hubschrauber-Basen, sowie die Standorte der Royal Air Force sind ausgeschrieben und sollen bis 2017 neu vergeben werden.

Besatzung

Die Coastguard-Hubschrauber sind alle mit einem Pilot, einem Copilot, einem Winchoperator und einem Winchman besetzt, wobei zumindest der Winchman eine Qualifikation als Paramedic besitzt.

Der Winchoperator auf dem Weg zur Maschine

Der Winchoperator auf dem Weg zur Maschine

Foto: Tobias Weimann

Das Personal wurde bisher vor allem vom Militär rekrutiert, da die Ausbildung sehr zeitaufwändig und kostenintensiv ist. Allein die Paramedic-Ausbildung (siehe Tabelle) dauert 3 Jahre, in denen ein Ausbildungsgehalt gezahlt wird. Neben der Berufsausbildung gibt es auch die Möglichkeit, Paramedic Science an einer Universität zu studieren. Nach dem erfolgreichen Abschluss kann die Registrierung beim Health Professions Council beantragt werden, bevor eine eigenständige Berufsausübung möglich ist.

Um die Arbeitslizenz aufrecht zu erhalten, ist alle 3 Jahre eine Rezertifizierung notwendig. Bei der Coastguard müssen durch die Paramedics zusätzlich

  • 4 Tage pro Jahr ein Rettungsdienstpraktikum
  • 2 Tage pro Jahr ein Anästhesie- Praktikum
  • 1 Reanimationstraining mit einem externen Trainer am SimMan, sowie
  • mind. 1 venöser Zugang alle 3 Monate am Patienten nachgewiesen werden.

Hinzu kommen weitere regelmäßige Fortbildungen und Übungen, grösstenteils aus Eigeninitiative. Die Fortbildung, wie auch weitere persönliche Lernerfolge, z.B. durch das Lesen von Fachzeitschriften werden online in einer Datenbank („CPD“ = Continuing Personal oder Professional Development) erfasst.

Des Weiteren nimmt die Ausbildung als Winchman oder Winchoperator und die SAR-spezifischen Kenntnisse, nochmals ca. 6 Monate in Anspruch (davon ca. 6 Wochen Präsenzseminar in einem Trainingszentrum).

Das Einsatzgebiet der HM Coastguard erstreckt sich über weitere Teile der Nordsee und des atlantischen Ozeans

Das Einsatzgebiet der HM Coastguard erstreckt sich über weitere Teile der Nordsee und des atlantischen Ozeans

Foto: Tobias Weimann

Helikopter

An der Basis in Sumburgh/Shetland sind zwei Sikorsky S92 mit den Kennzeichen G-CGOC und GSARC stationiert. Der diensthabende Hubschrauber hat jeweils den Rufnamen 102, die Ersatzmaschine 103.

Navigation und Suche während des Einsatzes

Navigation und Suche während des Einsatzes

Foto: Tobias Weimann

Die S92 fliegt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 140kts (259km/h), hat eine Höchstgeschwindigkeit von 165kts (306km/h) und eine Gipfelhöhe von bis zu 15.000ft (ca. 4572m). Für lange Strecken haben die Hubschrauber standardmäßig einen im Innenraum eingebauten Zusatztank.

Neben der üblichen Ausstattung eines Hubschraubers verfügen die SAR-Maschinen zusätzlich über ein Flight-Following-System, um die Position der Hubschrauber kontinuierlich nachverfolgen zu können, so wie über eine automatische Flugkontroll- und eine Auto-Hover-Funktion.

Um die Suche eines Schiffes oder von Personen im Wasser zu erleichtern, bietet ein AIS Transponder System (siehe auch unter Link unten) eine Übersicht aller Schiffe und Flugzeuge in Reichweite mit ausführlicher Angabe unter anderem des Namens, der Fahrtrichtung, Geschwindigkeit, Ziel oder auch Ladung.

Zur weiteren Unterstützung sind die Maschinen mit einem Radar mit unterschiedlichen Ansichten und einem FLIR (Infrarot- und Farbkamera mit Tracking-Funktion) ausgestattet. Hinzu kommen diverse Suchscheinwerfer. Eine Moving Map gibt es in den aktuellen Maschinen nur hinten. Diese wird vom Navigator/ Winchoperator bedient.

Zur Rettung gibt es zwei Rettungswinden (davon 1 Reserve) mit je 270 kg Tragkraft und 90 m Kabel. Die Sikorsky S 92 sind allwetter- und nachtflugtauglich und damit bestens für die Aufgaben als SAR-Hubschrauber, vor allem unter den Extrembedingungen über See geeignet.

Medizinische Ausstattung

Die Ausrüstung ist entsprechend den Aufgaben der SAR-Hubschrauber auf die Suche und Rettung im Wasser und an der Küste ausgerichtet.

Die medizinische Ausstattung ist für die Versorgung von mindestens zwei schwer verletzten Patienten ausgelegt. Im Großen und Ganzen ist diese mit der eines Rettungswagens vergleichbar, jedoch kompakt in Taschen und geschlossenen Schubladen verstaut, damit diese flexibel eingesetzt und bei Bedarf auch mit der Winde herabgelassen werden kann (siehe Tabelle). Die vorgehaltene Medikamentenbestückung ist für die Bedürfnisse im SAR-Dienst entsprechend einfach gehalten (siehe Tabelle).

Medikamentenliste

Medikamentenliste

Foto: Tobias Weimann

Einsätze

Mit durchschnittlich ca. 120 Einsätzen pro Jahr ist die Einsatzfrequenz auf der Basis Shetland sehr gering, auch wenn die Gesamtzahl der Flugstunden mit denen anderer Basen vergleichbar ist. Dies liegt unter anderem an den teilweise sehr weiten Flugstrecken, die bis hinter die Ölfelder nordöstlich von Shetland oder gelegentlich auch bis zu den Färöer Inseln reichen.

Innenansicht der „Sikorsky S92“

Innenansicht der „Sikorsky S92“

Foto: Tobias Weimann

Aus diesem Grund ist es teilweise trotz eines fest verbauten Zusatztanks notwendig, auf Einsätzen unterwegs zwischenzulanden, z.B. auf Bohrinseln, um nachzutanken. In diesem Fall muss die Flugstrecke entsprechend vorab geplant werden. Der Dienst dauert daher 24h mit Schichtwechsel um 13:00 Uhr.

Im rückwärtigen Bereich ist viel Platz für Patiententrage und medizinisches Equipment

Im rückwärtigen Bereich ist viel Platz für Patiententrage und medizinisches Equipment

Foto: Tobias Weimann

Je nach Spritreserve beträgt die Verweildauer vor Ort (vor allem, wenn nicht gelandet werden kann) maximal 15 min. In dieser Zeit muss der Patient minimal versorgt und für den Transport vorbereitet werden. Die definitive Versorgung findet in der Regel erst unterwegs im Hubschrauber statt, was bei einer angenehmen Stehhöhe, dem großen Raumangebot und der recht ruhigen Maschine gut möglich ist.

Die Art der Einsätze reicht neben Schiffsunglücken bis zu Unfällen auf Bohrinseln oder alltäglichen internistischen Notfälle auf Fährschiffen. Je nach Zustand des Patienten, sowie auch Landemöglichkeiten und Wetter wird das nächste für den Patienten geeignete Krankenhaus angeflogen.

Qualitätssicherung

Da der Hubschrauber in Shetland verhältnismäßig wenige Einsätze hat, ist es schwierig, eine gewisse Routine zu erreichen und aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund werden fast täglich Trainingsflüge mit unterschiedlichen Aufgaben durchgeführt (z.B. Windenoperationen, spezielle Anflüge, Außenlandungen). Die Paramedics nutzen die einsatzfreie Zeit, um sich fortzubilden und Skills zu üben. Aufgefallen ist mir die offene Kommunikation im Team. Jeder Einsatz wird nachbesprochen. Die Philosophie, dass jeder die Möglichkeit hat, aus Fehlern zu lernen und sich weiterentwickeln kann, hat sich in der Kultur verankert. Zusätzlich steht ein CIRS (Critical Incident Reporting System) zur Verfügung, das für die Meldung relevanter kritischer Zwischenfälle verwendet wird, von dem alle Coastguardmitarbeiter profitieren.

Der Winchoperator bereitet die Windenrettung vor

Der Winchoperator bereitet die Windenrettung vor

Foto: Tobias Weimann

Medizinische Ausstattung

  • „Erstangriffsrucksack“ mit Ausstattung für die Erstversorgung incl. Airwaymanagement und Medikamenten
  • „Zweitangriffsrucksack“ mit erweiterter Ausstattung, wie weiterem Schienungsmaterial
  • Erste Hilfe-Rucksack
  • Kindernotfalltasche
  • Verbrennungsset
  • Tasche mit Schienungsmaterial, u.a. mit KED, Beckengurt und Vakuumschienen
  • Wärmetasche mit vorgewärmten Infusionen
  • Philips HeartStart MRx
  • Philips HeartStart FR2 AED
  • Laerdal LSU Absaugpumpe
  • Korbtrage, Spineboard, Vakuummatratze, Schaufeltrage, Bergesack
  • div. Schienungsmaterial
  • div. Rettungsmaterial

Statistik

2010 führten die 4 Coastguard-Hubschrauber 769 Einsätze durch Basis Shetland:

  • pro Jahr ca. 120 Einsätze (Vergleich Stornoway: 200 Einsätze/Jahr)
  • bis 31.05.2012 insgesamt 2345 Einsätze von der Basis Shetland
  • bis 31.05.2012 48 Einsätze 2012
  • 2012 bereits bis 31.05.2012 564 Flugstunden

Paramedic-Ausbildung

Die modulare Ausbildung zum Paramedic dauert 3 Jahre und gliedert sich in vier Abschnitte:

Level One:

  • Grundlagen des Rettungsdienstes
  • 3 Wochen Fahrerausbildung
  • 2 Wochen Rettungsdienstpraktikum unter Supervision
  • 6 Wochen praktische Ausbildung
  • weitere 150 Stunden Rettungsdienstpraktikum unter Supervision
  • Modul „erweiterte Patientenuntersuchung“

Level Two:

  • 12-monatige Tätigkeit im Rettungsdienst mit einem Mentor als Ansprechpartner
  • Erstellen eines Erfahrungs-Portfolios
  • weitere theoretische, praktische und Tätigkeitsbasierte Assessments

Level Three:

  • weitere 12-monatige Tätigkeit im Rettungsdienst mit Anwendung aller bisher erlernten Massnahmen. Fortführung des Portfolios, Unterstützung durch einen Mentor.
  • Theoriemodule: Ethik und Recht, klinische Entscheidungen, klinische Qualitätssicherung und Forschung, Soziologie, Psychologie und Gesundheitsförderung

Level Four:

  • 16-wöchiges Praktikum mit Anwendung aller für Paramedics üblichen Massnahmen, außer Abgabe von BTMs
  • 4-wöchiges Praktikum und Vervollständigen des Portfolios
  • 1-wöchiger Kurs für die Arbeit als „single responder“ für die Arbeit auf einem fast response car. Ein großer Teil der theoretischen Kenntnisse muss eigenständig erarbeitet werden. In den flexiblen Präsenzmodulen werden diese geprüft und praktisch vertieft.

Autor

Quelle(n)
Rettungsdienst Journal 02-2012
Wir danken:
Tobias Weimann, www.tobias-weimann.net

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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