Johanniter Luftrettung bereitet sich auf Windenrettungseinsätze vor
08.07.2022
Gießen (HES) :: In den sogenannten Sozialen Medien werden seit einigen Tagen Bilder von Hubschraubern der Johanniter Luftrettung gepostet, die rund um den Nürburgring fliegen und dabei eine Rettungswinde fest installiert haben. rth.info wollte wissen, was es damit auf sich hat – zumal sich in diesen Julitagen die Ahrflut-Katastrophe zum ersten Male jährt – und bat die Pressesprecherin des für die Johanniter Luftrettung (JLR) zuständigen Landesverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz/Saar der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V., Frau Saskia Schimpf, um eine Stellungnahme.
Diese liegt seit gestern Abend vor, und wir möchten die wichtigsten Punkten hieraus unserer Leserschaft nicht vorenthalten und diese kommentieren.
Lessons learned?
Die Pressesprecherin bestätigte, dass sich die Johanniter Luftrettung entschlossen hat, einen Teil ihrer Flotte mit Rettungswinden auszustatten. Als Grund gibt sie die “Erfahrungen im Ahrtal im Rahmen der Flutkatastrophe vom Juli 2021“ an. Zur Erinnerung: Der am Nürburgring stationierte nicht-öffentliche Intensivtransporthubschrauber “Air Rescue Nürburgring“ war einer der ersten Hubschrauber, die in den ersten Stunden der Ahrflut-Katastrophe zum Einsatz kamen und Menschenleben retteten, ohne über das für Windenrettung erforderliche Rüstzeug zu verfügen. Die alle überfordernde Situation vor Ort hat sich ins (kollektive) Gedächtnis der Beteiligten eingebrannt.
Frau Schimpf teilte darüber hinaus mit, dass die JLR inzwischen über zwei Winden verfüge, obwohl der Markt momentan nur wenig hergebe. Es sei darauf hingewiesen, dass das Land Rheinland-Pfalz momentan zwei neue Polizeihubschrauber in der H145-Klasse beschafft, die laut Ausschreibungsunterlagen mit fest installierter Rettungswinde ausgestattet sein müssen. Zudem fliegt seit Samstag (02.07.2022) der interimsweise in Imsweiler (Donnersbergkreis) stationierte Dual-Use-Hubschrauber “Christoph 66“, eine H145 der ADAC Luftrettung, ebenfalls mit Rettungswinde.
Alle von der JLR eingesetzten Hubschraubertypen sind für die Windenrettung geeignet
Frau Schimpf weist in ihrer Antwort darauf hin, dass die beiden jüngst angeschafften Maschinen vom Typ Airbus H145 (BK117D3) mit den Kennern D-HJLA und D-HJLB werkseitig bereits mit entsprechenden Haltevorrichtungen – und dies beidseitig – für den Einsatz einer Rettungswinde ausgestattet sind. Darüber hinaus werde die JLR “eine Maschine von Typ AS 365 N3 ebenfalls mit einer Winde ausstatten. Diese wird dann in der Regel am Nürburgring stationiert sein. Die zweite Maschine mit Rettungswinde wird planmäßig in Reichelsheim (Wetterau) stationiert sein.“ Ergänzend weist die Pressesprecherin darauf hin, dass die Winde für die AS 365 N3 auch an die H 155 montiert werden könne. Hier bedürfe es lediglich einer anderen Halterung. “Die Anschlüsse sind vorhanden, der Mount wird gerade beschafft.“ Da die beiden Winden nicht fest verbaut seien, könnten diese im Bedarfsfall innerhalb von ca. 30 Minuten einsatzfähig gemacht werden. Ähnliches hört man zu den beiden von der DRF Luftrettung zur Verfügung gestellten Katastrophenschutz- bzw. Covid-19-Hubschraubern, die zurzeit am Baden Airpark in Rheinmünster bzw. in Bautzen stationiert sind und bei Anforderung durch staatliche Stellen zum Einsatz kommen können.
Die H145 der Johanniter Luftrettung sind werkseitig für den Windenbetrieb vorgerüstet (hier die D-HJLB bei einem postprimären Einsatz Anfang Juli 2022 in Nassau an der Lahn)
Foto: Jörn Fries
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Kooperation mit anderen Organisationen? Fehlanzeige!
Was Frau Schimpf nicht erwähnt, ist die Kooperation mit Einrichtungen der Bergwacht oder anderer Organisationen. Es ist somit davon auszugehen, dass die als HEMS TC auf den Luftrettungsmitteln der Johanniter in Hessen und Rheinland-Pfalz eingesetzten Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter als so genannte TC HHO (Technical Crew Helicopter Hoist Operator, also TC HEMS mit der Zusatzqualifikation Winde ) ausgebildet werden und im Rahmen einer Drei-Mann-Crew, analog zu “Christoph Dortmund“ in Dortmund und “Christoph 27“ in Nürnberg (beide DRF Luftrettung) sowie “Christoph 15“ in Straubing und “Christoph 66“ in Imsweiler (beide ADAC Luftrettung), dann in den Einsatz gehen werden. Inwieweit die zusätzliche Rettungswinde das Kerngeschäft der Johanniter Luftrettung, den hochqualifizierten luftgebundenen Interhospitaltransfer, beeinflusst, bleibt abzuwarten. Ebenfalls, ob die zuständigen Aufsichts- und Genehmigungsbehörden in Hessen und Rheinland-Pfalz diese Leistungserweiterung genehmigen, die Rettungs- und Integrierten Leitstellen im Einsatzgebiet der beiden Helikopter auf diese zurückgreifen und nicht zuletzt die Kostenträger die Zusatzkosten für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der TC HHO sowie für die Ausstattung übernehmen werden.
Tragfähiges Konzept?
Es bleiben Zweifel an der Strategie der JLR, denn der in Adenau stationierte ITH “Air Rescue Nürburgring“ fliegt nach dem seit April 2021 gültigen Rettungsdienstgesetz Rheinland-Pfalz ohne Genehmigung (eine entsprechende schriftliche Anfrage an das zuständige Mainzer Innenministerium wurde bislang nur mündlich beantwortet, die angefragte schriftliche Stellungnahme steht noch aus) und der Betrieb der Luftrettung ab Gießen/Reichelsheim wird 2023 neu ausgeschrieben. Von einer geplanten Erweiterung des Portfolios auf Windenrettung hörte man aus dem für die hessische Luftrettung zuständigen Regierungspräsidiums Gießen bislang nichts.
Zusätzlich Bedarfe zu ermitteln, ist in der Regel Aufgabe staatlicher Stellen, hier als Träger des (Luft-)Rettungsdienstes – und nicht Aufgabe privater Leistungserbringer. Denn deren Interessen überschneiden sich nicht immer mit denen des Aufgabenträgers. Die in NRW als so genannte “unternehmergeführte Luftrettung“ tätige DRF Luftrettung hat mit der Ausrüstung ihrer H145 “Christoph Dortmund“ zu einem Windenretter einen Trend gesetzt, den die öffentliche Hand zeitnah mit einem guten Konzept begegnen muss. Aber auch in NRW scheinen die Mühlen nur langsam zu mahlen, wie eine Anfrage von rth.info zur Überarbeitung des Hubschraubererlasses aus dem Jahre 2011 zu tage brachte. Aber das ist wiederum ein anderes Thema, über das rth.info gesondert berichten wird.
Von den AS 365 N3 der JLR kommen für Windenrettungseinsätze nur Maschinen mit Schiebetür infrage – die “White Lady“ (D-HFVP) ist eine davon
Foto: Jörn Fries
Die D-HFLG, die einzige H155 (EC 155 B1) der JLR (hier im Mai 2021 in Hünfeld bei einem Interhospitaltransfer zu sehen), ist auch ein Kandidat für die Ausrüstung mit einer Rettungswinde
Foto: Jörn Fries
Autor
- Wir danken für Unterstützung:
- Saskia Schimpf von den Johannitern für die ausführliche Stellungnahme zu der Anfrage von rth.info