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40 Jahre Luftrettung an der niedersächsischen Küste (Teil 1)

15.11.2019

In dieser Reportagenserie sind erschienen:

In diesen Tagen besteht die Luftrettungsstation Sanderbusch im gleichnamigen Stadtteil der Gemeinde Sande (Kreis Friesland) bei Wilhelmshaven 40 Jahre, in denen zuerst „Christopher Friesland“ und ab Anfang 1983 „Christoph 26“ schnelle Hilfe aus der Luft brachten. Im Teil 1 unserer zweiteiligen Reportage wollen wir auf den Aufbau der Luftrettung in Sanderbusch mit dem Rettungshubschrauber (RTH) „Christopher Friesland“ schauen, mit dem Pionierarbeit im Nordwesten der Republik geleistet wurde. Bereits vor dem Beginn der zivilen Luftrettung in Sanderbusch leistete der Such- und Rettungsdienst (englisch Search and Rescue) der Bundeswehr, insbesondere mit ihrem seit Anfang 1964 auf dem Fliegerhorst Jever im Stadtteil Upjever der Stadt Schortens (Landkreis Friesland) stationierten “SAR Jever 27“, im Rahmen der Dringenden Notfallhilfe eine wertvolle Unterstützung des zivilen Rettungsdienstes in der Region.

Weiterer Bedarf an Rettungshubschraubern

Nachdem der Bundesminister des Innern (BMI) in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre den für den Rettungsdienst und damit auch für die Luftrettung zuständigen Bundesländern mitgeteilt hatte, dass ein weiterer Ausbau der Luftrettung durch den Bund nach der Stationierung des 18. Katastrophenschutz-Hubschraubers nicht mehr vorgesehen war, und auch der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) nach der geplanten Stationierung eines damals zukünftig sechsten Rettungshubschraubers (RTH) der Bundeswehr im zivilen Rettungsdienst in Rheine keine weiteren Möglichkeiten der Beteiligung an der Luftrettung sah, hatten viele der damals zehn Bundesländer der alten Bundesrepublik und West-Berlin noch Bedarf an einem weiteren Ausbau der schnellen Hilfe aus der Luft.

Insbesondere das Flächenbundesland Niedersachsen hatte noch erheblichen Bedarf an RTH, waren doch noch erhebliche Lücken vorhanden, die durch mindestens drei weitere Stützpunkte in den Großräumen Braunschweig (RTH-Station Wolfenbüttel), Uelzen (Standort wie geplant) und Wilhelmshaven (RTH-Station Sanderbusch) abgedeckt werden sollten. Zu dieser Zeit war der ADAC e.V. über die damalige ADAC-Sicherheitskreis GmbH, aus der im Mai 1982 die heutige ADAC Luftrettung gGmbH vorging, bereits in Aushilfe für den BMI an der damaligen RTH-Station des Katastrophenschutzes (KatS) in Villingen-Schwenningen und in Planung für den noch aufzubauenden Stützpunkt in Ochsenfurt mit eigenem Fluggerät und fliegerisch-technischem Personal im Einsatz. Die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. (DRF), die heutige DRF Luftrettung, plante weitere Luftrettungszentren in Friedrichshafen und Göttingen, wobei letzterer überhaupt nicht vom Land Niedersachsen vorgesehen war, sondern auf Initiative der dortigen Universitätsklinik in enger Kooperation mit der DRF stationiert werden sollte. Die beiden damals in der Luftrettung etablierten zivilen Betreiber hatten weder die notwendigen personellen, noch materiellen Kapazitäten (Piloten, Hubschrauber), um zeitnah den Ausbau der Luftrettung hinsichtlich eines flächendeckenden Netzes von RTH voranzutreiben.

Es gab aber noch weitere Luftrettungsorganisationen, die vornehmlich Repatriierungen (Auslandsrückholungen) durchführten, aber auch zum Teil Ambulanzflüge mit Hubschraubern innerhalb Deutschlands anboten. Dazu gehörte die am Stuttgarter Flughafen ansässige S.O.S.-Flugrettung e.V., die dem Landkreis Friesland in Sanderbusch den Einsatz eines RTH anbot. Dabei hatte und hat bis heute die Anästhesie-Abteilung, das heutige Zentrum für Anästhesie-, Intensiv- und Rettungsmedizin, des Nordwest-Krankenhauses (NWK), als Klinik der Maximalversorgung, in vielfacher Hinsicht eine tragende Rolle. So wurden die Planungen und Vorbereitungen sowie die spätere Durchführung der Einsätze an der anfangs improvisierten Luftrettungsstation zum größten Teil durch die Anästhesie und den kommunalen Rettungsdienst Friesland in enger Zusammenarbeit mit dem dortigen Landkreis geleistet, so dass der neue RTH an den Start gehen konnte.

Pionierarbeit mit „Christopher Friesland“ – Zivile Luftrettung im Nordwesten

Am 15. November 1979, also auf den Tag genau vor 40 Jahren, war es dann soweit: „Christopher Friesland“, eine SA 316 B „Alouette III“, ging in Trägerschaft des Landkreises Friesland (später des Landes Niedersachsen) an den Start und konnte fortan über die damalige Leitstelle Friesland in Jever angefordert und eingesetzt werden. Nach dem am 2. Oktober 1972 an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) stationierten KatS-Hubschrauber (heute als Zivilschutz-Hubschrauber [ZSH] des Bundes bezeichnet) „Christoph 4“, war „Christopher Friesland“ der zweite in Niedersachsen und der 25. RTH in Deutschland.

„Christopher Friesland“, eine SA 316 B „Alouette III“ der S.O.S.-Flugrettung e.V., wurde am 15. November 1979 in Sanderbusch stationiert

„Christopher Friesland“, eine SA 316 B „Alouette III“ der S.O.S.-Flugrettung e.V., wurde am 15. November 1979 in Sanderbusch stationiert

Foto: Archiv LRZ Christoph 26

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Bereits seit April 1964 stellte die Bundeswehr im Rahmen ihres SAR-Dienstes vom Fliegerhorst Upjever aus Luftrettungsmittel ein – erst Bristol Sycamore B-171, dann moderne Bell UH-1D (hier ein Symbolfoto)

Bereits seit April 1964 stellte die Bundeswehr im Rahmen ihres SAR-Dienstes vom Fliegerhorst Upjever aus Luftrettungsmittel ein – erst Bristol Sycamore B-171, dann moderne Bell UH-1D (hier ein Symbolfoto)

Foto: Holger Scholl

Die beiden Piloten wurden von der S.O.S.-Flugrettung e.V. gestellt, während die damaligen Rettungssanitäter (heute sind es in der Regel Notfallsanitäter) und damit Flughelfer (heute HEMS TC) vom Rettungsdienst Friesland kamen sowie die Notärzte von der Anästhesie des NWK Sanderbusch gestellt wurden, wie es mit Ausnahme der Piloten bis heute noch der Fall ist. Die neue Luftrettungsstation bestand aus Klinikzimmern in Sichtnähe zur Hubschrauberlandestelle hinter dem Krankenhaus bzw. an der Südseite, da es bis Anfang 1985 keinerlei Standortanlagen gab. Das Einsatzgebiet in einem Einsatzradius von 50 km umfasste damals wie heute Friesland, Ostfriesland und die vorgelagerten ostfriesischen Inseln, aber auch das Ammerland und Oldenburg.

Die weiße, mit einem roten Kreuz beklebte SA 316 B „Alouette III“ (D-HFRD; SN 1365) wurde zwischen dem 15. November 1979 und dem 4. Dezember 1980 eingesetzt, bis sie durch eine Bell 206L-1 Long Ranger II (D-HEVE; S/N 45494) ersetzt wurde. Diese war allerdings nur wenige Monate bis zum Frühjahr 1981 im Einsatz. Später wurde diese Maschine von der DRF gekauft und von dieser als Ambulanzhubschrauber (AHS) eingesetzt. Danach kam wieder die altbekannte SA 316 B „Alouette III“, diesmal aber in rot-weißer Lackierung und mit der Beschriftung “S.O.S.-Flugrettung e.V.“ zum Einsatz, wie sie schon an der Bell 206L-1 zu sehen war. Die beiden Einsatzmaschinen waren mit einer medizinischen Standardausrüstung aus dem bodengebundenen Rettungsdienst versehen, wurden aber ohne jegliche Zusatzausrüstung eingesetzt.

Interimsweise kam zwischen Dezember 1980 und Frühjahr 1981 in Sanderbuch eine Bell 206L-1 Long Ranger II als “Christopher Friesland“ zum Einsatz

Interimsweise kam zwischen Dezember 1980 und Frühjahr 1981 in Sanderbuch eine Bell 206L-1 Long Ranger II als “Christopher Friesland“ zum Einsatz

Foto: Archiv LRZ Christoph 26

S.O.S.-Flugrettung e.V. kündigt Rückzug an – Abzug von „Christopher Friesland“

Bereits im Jahr 1981 verdichteten sich zunehmend Gerüchte, dass die S.O.S.-Flugrettung e.V. in finanzielle Schieflage geraten sei, Probleme im Flugbetrieb bestünden und die Auslastung des RTH durch zu geringe Anforderungen bestimmter Leitstellen beklagt würde. Wer diese gestreut hatte, wurde öffentlich nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund wolle bzw. könne die S.O.S.-Flugrettung e.V. den Flug- und Einsatzbetrieb in Sanderbusch nicht mehr dauerhaft durchführen, was dann auch im Herbst 1982 von ihr selbst bestätigt wurde. Zugleich wurde von ihr die Einstellung des Einsatzflugbetriebes zum Jahresende angekündigt. Das Entsetzen vor Ort war entsprechend groß, war doch durch den Abzug von „Christopher Friesland“ eine erhebliche Lücke in der Notfallversorgung der Region, insbesondere der ostfriesischen Inseln, zu befürchten. Der RTH aus Sanderbusch war längst zu einem festen Bestandteil der Notfallrettung weit über den Landkreis Friesland hinaus geworden.

Querelen zwischen dem Landkreis und dem Betreiber des RTH veranlassten die Verantwortlichen zum kurzfristigen Anberaumen mehrere Krisensitzungen, um die Luftrettung auch weiterhin sicherzustellen. So konnte die S.O.S.-Flugrettung e.V. nach Verhandlungen bewegt werden, die geplante Einstellung des Flugbetriebes zum 31. Dezember 1982 um maximal einen Monat zu verlängern. So flog „Christopher Friesland“ seinen letzten Einsatz am 31. Januar 1983. Seit seiner Indienststellung am 15. November 1979 hatte „Christopher Friesland“ in etwas mehr als drei Jahren Einsatzzeit insgesamt über 1.400 Rettungseinsätze durchgeführt.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass es weder einen speziellen Aufkleber noch einen Patch speziell von „Christopher Friesland“ gegeben hat, ebenso wenig wie eine Informationsbroschüre oder eine Luftrettungskarte. Lediglich die S.O.S.-Flugrettung e.V. wurde genannt. Auf den Luftrettungskarten der anderen Betreiber war die Station, wenn überhaupt, meist nur unter „Sonstige“ vermerkt.

Im zweiten und letzten Teil unserer Reportage berichten wir über die Ära der “Gelben Engel“ in Sanderbusch, die am 1. Februar 1983 anbrach.

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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