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Flog Pilot unter Brücke?

21.01.2003

Hohnstorf (NDS) ::  Wie mehrere TV-Sender in ihren Nachrichten mitteilten, soll die Unfallursache für den Absturz des RTH "Christoph 19" (BO 105 CBS mit der Kennung D-HLFB) nunmehr möglicherweise menschliches Versagen sein. Der Sprecher der Lüneburger Staatsanwaltschaft, Jürgen Wigger, bestätigte der Presse, dass ein Augenzeuge des Absturzes ausgesagt habe, der Pilot des RTH habe versucht, unter einer Brücke hindurch zu fliegen, welche über den Kanal führt. Die Überlebenden des Absturzes, d.h. der Pilot (35) und der Rettungsassistent (40), können derzeit noch nicht zu dem Unfall befragt werden. Dies sei hoffentlich, so ein Sprecher der Kriminalpolizei im Fernsehen "Ende der Woche" möglich. Pilot und Rettungsassistent des RTH befinden sich weiterhin im Krankenhaus. Aufgrund des schweren Schocks sind sie nicht vernehmungsfähig. Sie erlitten eine Unterkühlung, befinden sich aber definitiv außer Lebensgefahr.

Unklar und unverständlich bleibt zunächst für das Team von rth.info und Fachleute aus der Luftrettung, wieso der Pilot dieses Manöver zu fliegen versucht hat - wenn dies denn der Fall war. Zwischen der Brücke und der Wasseroberfläche waren gute 5 Meter Freiraum. Die BO 105 CBS jedoch hat eine Höhe von 3m. Somit blieben für einen Durchflug mit diesem Hubschraubertypen nur je etwa 1m Spielraum über und unter dem RTH. Zudem käme die Problematik des Downwash (Rotorabwind) dazu. Die Luftverwirbelungen durch die Rotorblätter würden vom Wasser "reflektiert" werden und der Hubschrauber käme somit in extreme Turbulenzen. Sollte sich die Aussage des Zeugen bestätigen, so hat der Hubschrauber nach dem Manöver mit einer Kufe das Eis auf dem Kanal berührt und ist dann schlagartig im Wasser versunken.

Außerdem bleibt unklar, warum erst ein Jogger die Einsatzleitstelle über den Unfall informierte, nachdem er 1,5 km zum nächsten Haus gelaufen war, während offenbar mehrere Zeugen den Unfall beobachtet haben wollen. Zudem befand sich der RTH auf dem Rückflug vom Hamburger Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg Boberg zu seinem Uelzener Stützpunkt. Er hätte sich also auf der normalen Flughöhe von mehreren hundert Fuß befinden müssen - möglicherweise war er bereits im Sinkflug und somit etwas tiefer. Dass die BO105 CBS (max. Abfluggewicht: ~2,5t) allerdings vom Piloten "aus Lust und Laune" auf wenige Zentimeter Höhe gebracht worden sein soll, um eine wenige Meter hohe Brücke über einen Kanal zu unterfliegen, erscheint auch dann absolut unwahrscheinlich, wenn sich der Pilot tatsächlich, wie in manchen Medien berichtet, der Firma "Euroheli" zur Verfügung gehalten hat, die für Kunden mit Hubschraubern Flugkunststücke und Stunts durchführt.

Inzwischen haben jedoch der "Allgemeinen Zeitung Uelzen" zufolge mehrere Besatzungsmitglieder von Christoph 19 an die Redaktion der Zeitung gewandt. Der gegenüber hätten sie von weiteren waghalsigen Flugmanövern berichtet, die sie bereits erlebt hätten. Das Blatt vermutet nun, dass der Pilot aus "Imponiergehabe" heraus auf die Idee gekommen sei, seiner Crew zu zeigen, dass er diese Brücke unterfliegen könne.

Der ADAC nahm inzwischen zu dem zuerst gegen den Piloten erhobenen Vorwurf (er habe die Brücke unterflogen) in der Weise Stellung, dass bekannt gegeben wurde, dass der betreffende Pilot zunächst einmal nicht wieder Hubschrauber der ADAC Luftrettung GmbH fliegen werde. Bezüglich der Beschäftigung des Piloten bei der "Euroheli" (die der ADAC nicht toleriert hätte, hätte man davon gewusst) und den Aussagen, der Pilot habe des Öfteren waghalsige Flugmanöver unternommen, will sich der ADAC vor dem Abschluss der Ermittlungen durch die zuständigen Stellen nicht gegenüber der Presse äußern: "Kein Kommentar" habe es geheißen.

Der Pilot hatte wie fast alle auf RTH eingesetzten Piloten mehrere tausend Flugstunden Erfahrung, wie den Medien bestätigt wurde. Die Piloten auf RTH sind unter Fliegern allgemein bekannt als Profis, die zwar oft mit ihren Maschinen bis an die Grenze der Belastbarkeit gehen, aber natürlich auch Grenzen kennen und gefährliche Flugmanöver oder Flüge bei allzu schlechtem Wetter nur durchführen, sofern wirklich Menschenleben in Gefahr sind.
Wie mitgeteilt wurde, befand sich die BO 105 CBS noch am Morgen des 20.01., als sie zum letzten Mal gecheckt worden war, in einem einwandfreien Zustand. Trotzdem kann natürlich ein technischer Defekt als Absturzursache vor dem Abschluss der Ermittlungen nicht ausgeschlossen werden. Die örtliche Wetterlage an der Absturzstelle: Es herrschten Temperaturen im Plusbereich sowie klare Sicht, und es war windstill.

Weiterhin ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen den Piloten der Unglücksmaschine, die inzwischen zwecks genauer Untersuchungen von der Unfallstelle per Tieflader zu einer Werft transportiert wurde. Dem Piloten wird fahrlässige Tötung sowie schwere Gefährdung des Luftverkehrs vorgeworfen. Ob sich dieser Verdacht weiter erhärtet oder sogar bestätigt, werden wohl die nächsten Tage zeigen.

Inzwischen steht in Uelzen am Standort des Christoph 19 eine Ersatzmaschine für die Luftrettung bereit, wie die "Allgemeine Zeitung Uelzen" berichtete.

Laut SAT.1 Videotext hat der Pilot der D-HLFB das Manöver ohne Absprache mit der restlichen Crew geflogen. Das habe der überlebende Rettungsassistent ausgesagt.

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