Grundsätzliches vorab...
Der Hamburger Rettungshubschrauber ''SAR 71'' führt ständig eine
fest in die Maschine integrierte Rettungswinde mit sich. Bei der Rettungswinde
handelt es sich um eine zusätzliche Ausstattung für Hubschrauber,
die an vielen mittelgroßen / größeren Hubschraubermustern
optional montiert werden kann. Mit diesem Gerät können Personen
und Gegenstände an einem Seil an Bord des Hubschraubers geholt bzw.
auf dem Boden abgesetzt werden. Dazu hovert der Hubschrauber in aller Regel
über der Einsatzstelle. Das bedeutet, dass der Pilot den Hubschrauber
während des Windenmanövers im stehenden Schwebeflug hält.
In Deutschland werden Rettungswinden, in Fachkreisen auch mit dem englischen
Fachterm ''Winch'' genannt, unter anderem mitgeführt an
- vielen Bell UH-1D der Bundeswehr (Luftwaffe/ Heer)
- Westland SeaKing MK 41 der Marine
- einigen Polizeihubschraubern der Länder
- allen SAR-Hubschraubern der Bundeswehr
- einigen zivilen Rettungshubschraubern
- ca. vier Bell 212 und vielen EC 155 des Bundesgrenzschutzes.

Winchmanöver einer Sea-King mit der DGzRS
(Foto: Harald Rieger | www.sar71.de) |
Rettungswinde in der Luftrettung
In der zivilen Luftrettung wird die Rettungswinde nur vergleichsweise selten
mitgeführt. Seitens der ADAC-Luftrettung führen die Hubschrauber
in München (''Christoph 1'') und der ''Christoph Murnau''
als alpennahe Standorte eine Winde ständig mit sich.

Winchmanöver von ''Christoph 26''
(Foto: Harald Rieger | www.sar71.de) |
Im Jahr 2003 hat
auch ''Christoph 26'' aus Sande bei Wilhelmshaven eine Rettungswinde
erhalten, um für die Offshore-Rettung noch besser ausgestattet zu sein.
Das Bundesministerium des Innern (BMI) rüstete seine Zivilschutz- und
Rettungshubschrauber ''Christoph 12'' (Eutin) und ''Christoph
34'' (Güstrow) mit Winden aus. Dies sind die beiden einzigen Standorte,
an denen das BMI (auch wegen der Winde) Maschinen vom Typ Bell 212 einsetzt.
Als sechster ziviler Luftrettungs- Standort mit Winch lässt sich Nürnberg
(''Christoph 27'') nennen. Bei Übernahme dieses Luftrettungs-Standortes
der Bundeswehr durch die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. (DRF) hatte man
die von der Bundeswehr vorgehaltene Winde nicht missen wollen und die Vorhaltung
einer Winch zur Prämisse für die Übergabe von ''Christoph
27'' in zivile Hände erklärt. Des weiteren sind die neuen EC 145
des ADAC mit Rettungswinden ausrüstbar. Das wurde in einem Training
bereits getestet. In der Luftrettungspraxis sind sie jedoch seit ihrer offiziellen
Indienststellung ohne eine Winde unterwegs. Für die Luftrettung wurde
die Rettungswinde besonders in den Bergen und über See seit jeher als
besonders sinnvoll angesehen, weil sie Rettungsaktionen auch dort ermöglichen
kann, wo vielleicht keine Landemöglichkeit für einen Hubschrauber
gegeben wäre.
Windeneinsätze in der Praxis
Die klassischen Einsatzbereiche der Rettungswinde liegen zweifelsohne über
See und im Gebirge. Während in den Alpen in aller Regel die erwähnten
zivilen Hubschrauber Einsätze mit der Rettungswinde übernehmen,
wird diese Aufgabe über der Nordsee insbesondere von den SAR-Hubschraubern
des MFG 5 übernommen. Diese Westland SeaKing MK 41 sind sämtlich
mit Rettungswinden ausgerüstet und sind ständig von 3 Stützpunkten
ausgehend einsatzbereit.

Die Winde von ''Christoph 12'' aus Eutin in Schleswig-Holstein
(Foto: Harald Rieger | www.sar71.de) |
Während einer Winchoperation hat der Winchoperator generell das Kommando
an Bord. Der Pilot richtet sich nach seinen Anweisungen, da er die eigentliche
Einsatzstelle in aller Regel nicht einsehen kann. Er hält den Hubschrauber
über der Einsatzstelle, während das Windenseil herabgelassen wird.
Meistens wird ein Besatzungsmitglied am Seil mit herabgelassen, um die zu
rettende Person zu sichern und den sicheren Ablauf zu garantieren. Währenddessen
überwacht der Winchoperator mit der Bedieneinheit vom Hubschrauber
(hintere, offene Tür) aus den Vorgang. Der Winchoperator ist dabei
durch eine spezielle Vorrichtung (Stehhaltegurt) gegen einen Sturz aus dem
Hubschrauber gesichert. Beim Winchen selbst können verschiedene Varianten
gewählt werden, so das Winchen im klassischen Sinne, das Winchen einer
Trage mit verletzter / erkrankter Person und Begleiter, das Winchen eines
Rettungskorbes u.v.m.
Windeneinsatz. (Foto: Harald Rieger | www.sar71.de) |
Dabei stellt die Rettungswinde zumeist eine schonende, schnelle Möglichkeit
dar, Personen aus dem Wasser oder schwierigen Situationen zu retten. Hubschrauber
und Besatzung werden während eines Winchmanövers auf das Äußerste
gefordert. Regelmäßiges Training der Einsatzabläufe und
adäquate Vorbereitung der Zusammenarbeit der Crewmitglieder beim Windeneinsatz
sind deswegen vorgeschrieben und werden von allen Institutionen, welche
die Winde einsetzen, in turnusmäßigen Abständen intensiv
geübt. Ein weiterer Grund für diese zyklischen Übungen ist,
dass auf das Jahr gesehen die Anzahl der Windeneinsätze einiger Standorte
so gering ist, dass allein durch Realeinsätze die entsprechenden Kenntnisse
niemals erlangt werden könnten. |
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Rettungsvorgang
Der Pilot muss, sich nur auf die Anweisungen des Winchoperators verlassend,
den Hubschrauber genau über der Einsatzstelle halten - ggf. auch bei
Starkwind und miserablen Wetterbedingungen. Und: Die Instrumente können
langsame Driftbewegungen des Hubschraubers in der Regel nicht anzeigen.
Der Winchoperator hingegen muss sowohl Hindernisse für den Hubschrauber
als auch die Personen an der Winde im Auge behalten und das Manöver
koordinieren.
Zur Personenrettung wird grundsätzlich ein Crewmitglied mittels Winde
zum Opfer herabgelassen. Der Retter legt dem Opfer die entsprechende Ausrüstung
an bzw. hängt die Trage an die Winde. Dann gibt er dem Piloten das
Kommando zum Aufwinchen. Dabei wird nicht das Windenseil über den Motor
der Winde heraufgezogen, vielmehr lässt der Pilot seine Maschine langsam
steigen. Der Grund: Beim Hovern werden die Leistungsreserven des Hubschraubers
stark gefordert. Der Pilot muss deshalb beim Steigflug im Rahmen des sogenannten
Power-Checks durch einen Blick auf den Torque-Anzeiger und die übrigen
Instrumente prüfen, ob der Hubschrauber die Last zu tragen imstande
ist. Sonst können ein Durchsacken der Maschine, anderweitige Turbulenzen
oder Materialschaden die Folge sein. Sobald der Pilot den "Power-Check"
mit "OK" bestätigt, kann das Aufwinchen beginnen.
Rettungswinde: Weitere EntwicklungUm ihrem SAR-Auftrag im Rahmen der ICAO im vollen Maße entsprechen
zu können, führen desweiteren alle SAR-Hubschrauber der Bundeswehr
fest montierte Winden mit sich.

SAR
Laage 81 setzt die Winde ein. (Foto: Harald
Rieger | www.sar71.de) |
Deswegen wird in der Praxis der Luftrettung häufig auf SAR-Hubschrauber
zurückgegriffen, wenn eine Winde an der Einsatzstelle benötigt
wird. Als Problem stellt sich dabei jedoch seit Mitte der neunziger Jahre
dar, dass die Zahl der SAR-Standorte in Deutschland aufgrund der Aufgabenumstrukturierungen
innerhalb der Bundeswehr (vermehrte Auslandseinsätze) immer weiter
zurückgeschraubt wird.
Somit stellt sich derzeit vermehrt die Frage nach Möglichkeiten,
die Anzahl der (möglichst schnell!) verfügbaren Hubschrauber
mit Rettungswinde dennoch so konstant wie möglich zu halten. Dabei
gibt es durchaus - unter anderem finanzielle - Gründe, die gegen
eine Winde am Hubschrauber sprechen; dazu zählt zum Beispiel
- das größere Gewicht mit Winde
- die nötige fliegerische Doppelbesatzung (Pilot und Bordwart, letzterer
muss als Winch-Operator die Winde bedienen)
- die umfangreiche Ausbildung und die nötigen Trainingsflüge
- die nötige zusätzliche umfangreiche Kooperation mit den Kräften
am Boden.
Auch der ''SAR Hamburg 71'' hat stets eine Winde an Bord (Foto:
Harald Rieger | www.sar71.de) |
Winde in Hamburg
Als einziges primäres Rettungsmittel in Hamburg und Umgebung hat
der SAR 71 ständig eine Winde an Bord. Das Einsatzmittel, das sicherlich
einem großen Personenkreis aus der ZDF-Vorabendserie "Die Rettungsflieger"
bekannt ist, wird - im Gegensatz zur TV-Serie - in der Hansestadt vergleichsweise
selten eingesetzt. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich:
- Zum einen die sehr geringe Anzahl von tatsächlichen SAR-Einsätzen
im Vergleich zu den üblichen Einsätzen im regulären Notfallrettungsdienst.
SAR-Einsätze erfordern häufiger eine Windenrettung.
- Hinzu kommt die Besonderheit, dass der Hamburger SAR 71, anders als
RTH in ländlicheren Regionen, eine wichtige Funktion des schnellen
Notarztzubringers im Stadtgebiet hat, wenn dort ein Notarztmangel aufgrund
der Einsatzlage herrschen sollte. Eine Einsatzindikation für den
Windeneinsatz ergibt sich bei diesen Einsätzen, die denen eines NEF
in der Stadt entsprechen, fast nie. Dafür sorgt einerseits die hohe
Anzahl von internistischen Notfällen (z.B. Herzinfarkt oder Schlaganfall)
sowie andererseits eine hohe Fehleinsatzquote: Da das bodengebundene Rettungsnetz
ein schnelles Eintreffen des Rettungsdienstes zumindest in Hamburg garantiert
(Eintreffen des RTW höchstens 5 Minuten nach dem Notruf!), kann der
Hubschrauber oft wieder abdrehen, ohne dass die Besatzung tätig wurde.
Dennoch ist die Winde absolut sinnvoll, wenn es doch zu extremen Einsatzlagen
kommt: Denn Hamburg ist die Stadt mit den europaweit meisten Wasserflächen!
Kombiniert mit den riesigen Arealen des Überseehafens und damit verbunden
dem hohen Risiko von Unglücksfällen ergibt sich ein enormes
Gefahrenpotential. Schwere Arbeitsunfälle sind - leider - an der
Tagesordnung und oft ist hier der Hubschrauber als schnelles Einsatzmittel
gefragt. Dabei kann auch die Winde sehr nützlich sein.
Ob auch das Nachfolgemodell der Hamburger Bell UH-1D eine Rettungswinde
mit sich führen wird, steht derzeit noch in den Sternen. Dies wird
sich vermutlich erst klären, wenn die Verhandlungen bezüglich
des zukünftigen Hubschrauberbetreibers in die "heiße"
Phase gehen. In diesem Zusammenhang könnte sich auch entscheiden, ob
in Hamburg auf dem Rettungshubschrauber weiterhin eine fliegerische Doppelbesatzung
(Pilot und Bordtechniker bzw. 2 Piloten) vorgehalten werden soll.

Auch
ein SAR-Einsatz im Rahmen des originären Auftrags gemäß
ICAO kann hin und wieder einen Windeneinsatz erfordern. Hier SAR
Hamburg 71 bei einem Flugunfall. (Foto: Frank
Bernau) |
Fakt ist: Die Rettungswinde bietet eine große zusätzliche taktische
Komponente beim Einsatz des Rettungs- hubschraubers. In manchen Fällen
kann die Rettungswinde unmittelbar Leben retten. Zwar kommt dies in der
Großstadt selten vor, doch die Möglichkeiten, die sich durch
die Winch im Extremfall zur Rettung von Personen ergeben können, sind
immens und sollten nicht unterschätzt werden. Auch die zivilen Luftrettungsbetreiber
ADAC und DRF sind stolz darauf, auf einigen (bzw. einem) Hubschrauber/n
eine Winde mitzuführen. In jüngster Vergangenheit besonders spektakulär
(d.h. medienwirksam und in großem Umfang) zum Einsatz gekommen ist
die Rettungswinde beispielsweise nach den Unwettern und Überflutungen
im letzten August. Namentlich Bundeswehr und Bundesgrenzschutz stellten
hier in bestaunenswertem Umfang ihre Leistungsfähigkeit gerade auch
im Einsatz mit der Winch unter Beweis. |