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Wenn Medizin fliegen lernt: Christoph 77 (Teil 2)

23.04.2005

In dieser Reportagenserie sind erschienen:

Vom Buchdruck zur Luftrettung – unsere Reportage

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Reportage über die Hubschrauberstation in Mainz:

  • Mainzer Rucksacksystem
  • System “B.A.N.I“ – was das ist und wie es kam und
  • wie es allgemein medizinsch bei Christoph 77 aussieht.

Vorab: Korrektur

In unserem ersten Teil der Reportage berichteten wir, dass Christoph 77 von der hessischen Seite aus nur dann angefordert werden könne, wenn die hessischen Luftrettungsmittel den Einsatz nicht übernehmen können. Dies hat sich als nicht zutreffend erwiesen. Christoph 77 ist uneingeschränkt sowohl primär wie auch sekundär jederzeit für Einsätze in Hessen anforderbar. Wir möchten uns bei unseren Leser für die Fehlinformation entschuldigen. Wir haben dies bereits im Text abgeändert.

Christoph 77: Wie es medizinisch war und ist...

Verlegungseinsatz für Christoph 77

Verlegungseinsatz für Christoph 77

Foto: Pedro Bargon

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"Wie der Deckel zum Topf", so könnte man die Stationierung des Hubschraubers am Uniklinikum Mainz beschreiben, obwohl die Station bis heute kritisch gesehen wurde und wird. Sichtbar wird dies an den Studien, Forschungen und Test in der (präklinischen) Notfallmedizin, die in Zusammenarbeit zwischen Klinik und Christoph 77 durchgeführt worden sind. Dass auch die Crew selbst Geräte und Konzepte entwickelt, die ihre Arbeit erleichtern und verbessern sollen, soll nicht unerwähnt bleiben. Auch unterstützt man Studien und Tests, z.B. von neuen Geräten. Und auch zahlreiche Berichte und Artikel kommen von den Mitgliedern der Station.

Das Rucksacksystem

Eine dieser Eigenentwicklungen ist das “Mainzer Rucksacksystem“:
Grundgedanke war, ein kompaktes System zu schaffen, welches es möglich machen sollte, alles Nötige vor Ort zu haben und dennoch nicht zig Ausstattungsbestandteile mitschleppen zu müssen. So entstand ein Konzept, welches als Grundidee zwei Rucksäcke vorsah: Einen für das Herz- & Kreislaufsystem und ein weiteren, der das Airway-Management beinhalten sollte. Dies erwies sich allerdings in der Praxis nicht als die perfekte Lösung, so dass man das System nochmals modifizierte. Daraus entstanden in Zusammenarbeit mit den Firmen Schiller (Defi/EKG), Karl Storz Endoskopie (Fiberglasoptik), Firma X-Cen-Tek GmbH (neu entwickelte Spezialanfertigung der Rucksäcke auf Basis der Hanaulife-Rucksäcke der Firma WeroMedical, die im Dezember 2003 aus dem Projekt ausgestiegen waren), die zwei Rucksäcke - genannt First-Attack und Second-Attack.

Rucksack 1

Die beiden Rucksäcke: First Attack (re.) und Second Attack. Die farbliche Trennung erlaubt die Unterscheidung auf den ersten Blick

Die beiden Rucksäcke: First Attack (re.) und Second Attack. Die farbliche Trennung erlaubt die Unterscheidung auf den ersten Blick

Foto: Jonas Lettmann

First Attack – ein blauer Rucksack, welcher nur zum Einsatz kommt, wenn Christoph 77 das erste Rettungsmittel vor Ort sein sollte. Er beinhaltet neben Materialen zur Standardintubation und zur Notfallgrundversorgung (Inhalt eines normalen Notfallkoffers) auch eine 2 Liter Sauerstoffflasche aus Carbon, eine Fußabsaugpumpe sowie ein 4-Kanal biphasisches Defibrillationsgerät mit Sauerstoffsättigung Fred (Vollversion) der Firma Schiller.

Rucksack 2

Second Attack – der rote Rucksack wird immer mitgeführt. Er beinhaltet allen Materialen, die über den Notfallkoffer bzw. über den “First Attack“ hinausgehen.

Geöffnet: Eine Tasche des "Second Attack"-Rucksacks

Geöffnet: Eine Tasche des "Second Attack"-Rucksacks

Foto: Jonas Lettmann

Dazu gehören ein externer Schrittmacher, ein Notfallequipment für Kinder, Thoraxdrainagen inkl. Zubehör, Notfallmedikamente, das Airway-Management (Larynx Maske, Combitube Quicktrach, usw) sowie das 12-Kanal EKG “AT 4 Tele“. Letzteres stammt von der Firma Schiller und wird u.a. zur präklinischen Lyse benötigt, die seit dem 01.06.2003 auch auf Christoph 77 angewandt wird. Zusätzlich besteht hier die Möglichkeit, das Intubationsfiberskop, einen neu entwickelten Tubushalter sowie das Zubehör, welche eine Intubation unter erschwerten Bedingungen erlaubt, in einer Box bei Bedarf mit im Rucksack unter zubringen. Standardmäßig verbleibt dieses aber auf dem Hubschrauber und wird nur bei Anfrage bzw. Bedarf oder Lagemeldung mitgenommen.

Konsequenz

Mit dem neuem Rucksacksystem ist es nun möglich, alle notwendigen Materialen vor Ort zu haben, ohne weitere Geräte zusätzlich tragen zu müssen. Hinzu kommt, dass durch das Konzept eine drastische Gewichtsreduktion der Ausrüstung, ohne den Umfang zu beeinträchtigen, erfolgen konnte.

Wasserrettungskonzept

Rettung von Ertrinkenden mittels Stehhaltegurt durch Rettungshubschrauber, hier ein Foto von einer Übung mit einer EC 135

Rettung von Ertrinkenden mittels Stehhaltegurt durch Rettungshubschrauber, hier ein Foto von einer Übung mit einer EC 135

Foto: ADAC

Rund 170 km Flusslauf, zahlreiche Häfen und (Bade-) Seen liegen im Einsatzgebiet der Mainzer Luftretter. Um hier im Notfall, z.B. Ertrinkenden, schnelle Hilfe zu ermöglichen, wurde hierzu im April 1998 die Rettung mit einem Stehhaltegurtsystem eingeführt. Mit der Übung im Juli 2004 wurde erstmal das redundante Sicherungssystem eingesetzt, welches man in Mainz entwickelt hat. Regulär führt zwar fast jeder Rettungshubschrauber in Deutschland ein Stehhaltegurtsystem mit, wie man es auch bei einer Windenrettung zur Sicherung des Winchoperators nutzt. Allerdings unterscheidet sich das Mainzer System von den anderen dahingehend, dass man statt der normalen ein-fachen Sicherung doppelt abgesichert ist. Eine zweite Sicherungsleine (rechts und links am Kabinenboden verankert) verhindert, dass der Retter sich auf der Kufe verdrehen kann und eventuell unter die Maschine rutscht. Das System setzt allerdings eine enge und gute Zusammenarbeit mit den bodengebundenen Kräften sowie eine gute Schulung der Hubschraubercrew voraus, denn schon ein verdrehter Gurt kann erhebliche Folgen haben. Dies wird in Trainings - wie das zuletzt im Juli 2004 in Ingelheim geprobte Zusammenspiel - intern mit der Crew wie auch mit den bodengebundenen Hilfsorganisationen insbesondere mit der Feuerwehr geübt und gefestigt. Da nur ein reibungsloses Zusammenspiel der eingesetzten Kräfte zum Erfolg verhilft, denn ohne dieses wäre eine effektive Rettung nicht möglich durchzuführen.

Gerüstet für den Notfall: Christoph 77

Gerüstet für den Notfall: Christoph 77

Foto: Pedro Bargon

Legende zum Foto

Gerüstet für den Notfall: Christoph 77. Wie vielfältig sich so ein Notfall darstellen kann, lässt sich anhand der Ausstattung bereits erahnen. Unter anderem gut erkennbar: Spritzenpumpen (vorn), Transportinkubator (auf der Plattform), Vakuumschienen (re. daneben), Trage (mittig), Rucksacksystem (daneben), Halskrause, Thermorucksack (re.), Intensivtasche (li.), Sauerstoffvorrat (blau, li.).

Berater BANI

Genauso alt wie Christoph 77 ist das mit dessen Indienststellung eingeführtes System „Beratender Arzt für Notfall- und Intensivtransporte in Rheinland-Pfalz“, welches in Deutschland bisher einzigartig ist. Den Dienst des (mit der Einführung des neuen Intensivtransportsystems in Rheinland-Pfalz 2004 kurz B.A.N.I. genannten) Systems teilen sich unter der Leitung des verantwortlichen Mainzer Hubschrauberarztes Dr. Guido Scherer vier Ärzte, welche über umfangreiche und langjährige Erfahrungen in der Intensiv-, Transport- und Notfallmedizin verfügen, aber auch die entsprechenden administrativen und organisatorischen Strukturen genau kennen. Ihre Aufgabe ist es, bei einer Anforderung zu einem sekundären, arztbegleiteten Patiententransport in Rheinland-Pfalz zu entscheiden, wie, wann und womit dieser Transport durchgeführt wird. Dabei wird die Entscheidung anhand von 5 Kriterien, die in eindeutiger Reihenfolge festgelegt sind, getroffen:

Kriterien

  1. Die Sicherheit: Der Transport sollte so disponiert sein, dass die Sicherheit des begleitenden Personals höchste Priorität genießt. So sollen konkret unnötige Einsätze bei Nacht und/oder ungeeigneter Wetterlage dringend vermieden werden.
  2. Der Patient: Ihm soll der unter medizinischen Gesichtspunkten am Effektivsten bzw. für den Patient vorteilhaftesten Transport ermöglicht werden.
  3. Medizinische Versorgungssystem: Es besteht aus den Kliniken, den Transportorganisationen und dem Personal, welches im Fall der Ärzte sich fast ausschließlich aus den Klinken kommt. Hierbei sollte der Transport so gestaltet werden das das gesamte System möglichst effektiv arbeitet.
  4. Ökonomie: Hierbei sollte der arztbegleitende Transport möglichst kostengünstig im Interesse der Kostenträger (Kassen) abzuwickeln sein.
  5. Ökologie: Die Disposition aller Verlegungen in der Nacht als bodengebundene Transporte, wann immer dies ohne Schaden für den Patienten möglich ist, trägt zur Reduzierung der Lärmbelästigung im Bereich der Hubschrauberstandorte auf ein Minimum bei.

So wird entschieden, ob ein Transport per Hubschrauber oder per ITW sinnvoller ist. Hintergrund ist es zum Einen, nicht notwendige Einsätze mit dem Hubschrauber insbesondere bei Nacht zu vermeiden, um neben den Gefahren, die mit einem Hubschraubereinsatz verbunden sind auch Kosten zu reduzieren und zum Anderen bessere Bedingungen für die Patienten zu garantieren, denn nicht immer ist ein Transport per Luft schneller und besser.

Christoph 77 bei einer (länderübergreifenden) Patientenverlegung

Christoph 77 bei einer (länderübergreifenden) Patientenverlegung

Foto: Patrik Kalinowski

Bei einer Anforderung, welche über die Zentrale Koordinierungsstelle Rheinland-Pfalz (kurz Z.K.S. genannt) erfolgt, klärt der B.A.N.I. in einem Gespräch mit dem abgebenden Arzt anhand der Patientendaten ab, welches Transportmittel am Geeignetesten erscheint und legt dieses definitiv fest. In dieser Entscheidung ist er unabhängig, da er nur dem Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz untersteht, welches auch den B.A.N.I. benennt. Wann immer möglich wird allerdings versucht eine einvernehmliche Lösung v.a. mit dem Arzt der abgebenden Klinik zu finden. Mit dem 2004 reformierten Notfall- und Intensivtransportsystem (N.I.T.S.) Rheinland-Pfalz wird zu allen Intensivtransportanforderungen der B.A.N.I. hinzugezogen, die von den fünf rheinlandpfälzischen ITWs, Christoph 77 und den rheinlandpfälzischen RTHs abgewickelt werden sollen. Die rheinlandpfälzischen Rettungshubschrauber sind seit Mitte 2002 nach dem DIN132030-4 Standard ausgestattet (Anm. d. Red.: wie alle anderen ADAC-eigenen RTH auch) und können somit bei dringendem Bedarf auch sekundäre Einsätze übernehmen. Das System kommt vor allem dem Patienten zugute und hat sich in den letzten Jahren bestens bewährt.

Fortsetzung

Lesen Sie in der Fortsetzung der Reportage über die Hubschrauberstation in Mainz: Die neue Einsatzmaschine vom Typ EC 145, Neuerungen bei der Ausstattung der Mainzer Luftretter und ihre Einsatzzahlen.

Download

Sie können auch die gesamte Reportage als PDF-Datei herunterladen (ca. 1,2 MB).

Autor

Wir danken:
M. Müller, P. Bargon, Dr. G. Scherer und Team Christoph 77

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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