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SAR Hamburg 71: 30 Jahre im Einsatz

22.07.2003

In dieser Reportagenserie sind erschienen:

Anlässlich des 30-jährigen Geburtstags von "Anneliese", wie der RTH am Bundeswehr-Rettungszentrum (BW-RZ) liebevoll genannt wird, fand am 18. Juli 2003 im Rettungszentrum eine Feierstunde statt. Zwei Mitglieder von rth.info hatten die Möglichkeit, dieser Veranstaltung beizuwohnen, und unser neues freies Mitglied Stephan Dönitz möchte seine Eindrücke im Folgenden wiedergeben.

Die Jubiläums-Besatzung - medizinisch vertreten durch Herrn Dr. Thomas Samek und Herrn Michael Kansy

Die Jubiläums-Besatzung - medizinisch vertreten durch Herrn Dr. Thomas Samek und Herrn Michael Kansy

Foto: Stephan Dönitz

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Namhafte Angehörige der Bundeswehr und der Hamburger Notfallmedizin-Szene würdigten in kurzen Vorträgen unter dem Motto "Gestern-Heute-Morgen" die Geschichte des Rettungszentrums. Dabei kamen auch allgemeine notfallmedizinische Perspektiven nicht zu kurz.

Der Chefarzt des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs), Oberstarzt Dr. Philipp, hob unter dem Motto "30 Jahre Dienst am Nächsten" die gute zivil-militärische Zusammenarbeit hervor. "Der SAR 71 hat sich im Laufe der Jahre die Sympathie und Zustimmung der Bevölkerung erworben", so Dr. Philipp. Erwähnung fand auch das Unglück vom 14. März 2002, welches die Chronik des SAR Hamburg 71 überschattet. Damals stürzte der RTH ab, und alle fünf Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Weiterhin lobte Dr. Philipp das hohe fliegerische Niveau der fliegerischen Besatzung, die vom Lufttransportgeschwader (LTG) 63 kommen und bei den Einsätzen innerhalb der Stadt, beispielsweise im Hafen, unter oft schwierigen Bedingungen operieren müssen. Mit Blick in die Zukunft führte Dr. Philipp aus, dass "ein ziviler Betreiber am BwKrhs folgt", da der Beitrag künftig an anderer Stelle im Rettungswesen geleistet werden müsse. Welche Rettungsorganisation in der Ausschreibung das Rennen macht, ist jedoch noch nicht bekannt.

Oberstleutnant Lepkowski vom Lufttransportkommando in Münster

Oberstleutnant Lepkowski vom Lufttransportkommando in Münster

Foto: Stephan Dönitz

Oberstleutnant Lepkowski vom Lufttransportkommando in Münster zeigte einige Meilensteine in der Chronik des SAR-Dienstes auf. Der "Verkehrspolitische Bericht" der Bundesregierung von 1970 sah eine Beteiligung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr am zivilen Rettungsdienst vor. Dies führte am BwKrhs Ulm am 15.11.1971 zur Einrichtung eines Test-Rettungszentrums, übrigens dem zweiten Rettungshubschrauber in Deutschland überhaupt. Höhepunkt war in den 1990er Jahren die Zeit nach der Wiedervereinigung, als es 15 Luftrettungszentren und 12 SAR-Kommandos gab. Auch Oberstleutnant Lepkoski betonte, dass sich die Luftwaffe mit dem SAR-Dienst "in Zukunft weniger im zivilen Rettungsdienst" engagieren werde, da man "Bedarf im Ausland" an qualifiziertem Personal habe. Derzeit gebe es nur noch zwei Luftrettungszentren der Bundeswehr in Hamburg und Neustrelitz (abgesehen von den zivil-militärischen Mischbetreiber-Stationen wie in Koblenz oder Ulm). Dennoch werde man in Zukunft natürlich weiterhin SAR-Aufgaben im Rahmen der ICAO-Verpflichtung nachkommen (z.B. Hilfeleistung für in Not geratene Luftfahrzeuge und Rettung von Crew und Passagieren) und die sog. SAR-Einrichtungen ersten Grades rund um die Uhr einsatzbereit halten. Im Rahmen von Katastrophen wie dem Elbe-Hochwasser werde auch weiterhin geholfen werden. Die Verlagerung von Aufgaben sei allerdings "politisch gewollt", so Oberstleutnant Lepkowski.

Herr Oberbranddirektor Farrenkopf, Leiter der Berufsfeuerwehr Hamburg, beleuchtete in seinem Vortrag verschiedene Ereignisse des Jahres 1973. Er betonte den Stellenwert der Gefahrenvorsorge- und Abwehr auch in der Zukunft (Stichwort: 11. September 2001) und unterstrich die gute zivil-militärische Zusammenarbeit.

Eine hochinteressante Entwicklung innerhalb Hamburgs, um die in der Vergangenheit wiederholt vergeblich gekämpft wurde, gab der Chef des SanKommandos 1 in Kiel, Flottenarzt Dr. Brünn bekannt: In den nächsten Wochen ist mit der Einführung der 24-Stunden-Einsatzbereitschaft des Notarztwagens am Rettungszentrum zu rechnen. Dieser wird von der Abteilung X des BwKrhs besetzt und spielt, gemeinsam mit dem RTH, eine wichtige Rolle zur "Inübunghaltung des Rettungspersonals". In Dienst gestellt wurde der "NAW 21 Berta" 1974 – als übrigens erst zweiter NAW seinerzeit in Hamburg. Der 21 Berta absolviert über 2000 Einsätze pro Jahr. Dr. Brünn erwähnte weiterhin die ZDF-Vorabendserie "Die Rettungsflieger", die sicher die Popularität des SAR Hamburg 71 enorm gesteigert hat.

Die bunte und illustre Runde der Zuhörerschaft

Die bunte und illustre Runde der Zuhörerschaft

Foto: Stephan Dönitz

Eine Portion Humor bewies in seinem Vortrag Dr. Peter Voeltz, Chefarzt der Abteilung Anästhesie, Intensiv- und Rettungsmedizin am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg (BUKH). Das BUKH stellt den zweiten RTH in Hamburg, den "Christoph Hansa". Dr. Voeltz berichtete aus seiner Zeit als Notarzt auf dem damals eben am Rettungszentrum in Dienst gestellten RTH. „Eine gute Portion Idealismus und guten Willen“ habe man damals gebraucht, es gab „keine Ausbildungsstandards für die Ärzte, "learning by doing" war angesagt, so der ehemalige Rettungsflieger. Die medizinische Technik sei zudem damals abenteuerlich gewesen, man habe einen 13 kg schweren Defibrillator mitschleppen müssen, was die Kondition des einen oder anderen mitunter arg gefordert habe. Die Dienstbekleidung habe aus Kampfanzug, im Winter ergänzt durch einen Parka, bestanden. Das Berufsbild Rettungsassistent gab es noch nicht, stattdessen seien Sanitäts-Unteroffiziere eingesetzt worden. Heiterkeit erntete Dr. Voeltz mit einem Zitat seines damaligen Chefs, der die oft unorthodoxe Vorgehensweise des jungen Notarztes öfter mit den Worten kommentierte: "Herr Voeltz, Sie bringen mich noch vors Kriegsgericht". In Anspielung auf den fürs nächste Jahr anstehenden Betreiberwechsel bezeichnete Dr. Voeltz die Bell UH-1D als "alte Dame, die bald in den Ruhestand geht".

Die speziellen Aufgaben des Rettungszentrums beleuchtete Oberfeldarzt Dr. Bernd-Rüdiger Vorwerk. Neben dem Fort- und Weiterbildungsaspekt im Bereich Sanitätsdienst (für Auslandseinsätze z.B.) betreibe man die Ausbildung von Medizinstudenten für das Universitätsklinikum Eppendorf in Form von Praktika. Weiterhin sind Wehrübende sowie ehemalige und auch zivile Mitarbeiter am Rettungszentrum tätig. Dr. Vorwerk: "Ein echtes Novum innerhalb der Bundeswehr ist, dass unsere sechs aktiven Rettungsassistenten in die Planung des Notarztwagens der fünften Generation integriert wurden". Der NAW wurde von der Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH ausgebaut und die speziellen Wünsche der Kunden umgesetzt.

Auf ein verändertes Aufgabenspektrum des NAW's seit Umstellung auf das NEF-System innerhalb Hamburgs wies Dr. Vorwerk hin. "Seit ein bis zwei Jahren werden mit dem NAW vermehrt auch Notfallverlegungen gefahren", so der leitende Hubschrauberarzt am Rettungszentrum. Mit Stand vom 16.07.2003 wurden vom NAW 52.197 Einsätze gefahren, vom SAR 71 44.596 Einsätze geflogen. Dabei würde der RTH 81% seiner Einsätze innerhalb Hamburgs fliegen. Der relativ hohe Anteil an Fehleinsätzen liege an den Besonderheiten des großstädtischen Ballungsraumes. Durch die kurzen Eintreffzeiten der RTW komme es häufig zur Abbestellung des RTH, weiterhin mache sich die gute Ausbildung der RTW-Besatzungen bemerkbar, die mit vielen Situationen gut zurecht kämen.

Aber auch einige "Wünsche" wurden von Dr. Vorwerk angebracht. So kritisierte er die Ausstattung der Räumlichkeiten des Rettungszentrums und wünschte sich eine "Anpassung an den Standard des 21. Jahrhunderts". Zudem habe man keine Rettungsdienst-Bekleidung nach DIN/EN-Norm – das, was z.B. die NAW-Besatzungen tragen würden, habe aus "eigener Tasche bezahlt" werden müssen. Auch die Stiefel der Rettungsflieger entsprächen nicht dem Standard von Sicherheitsschutzschuhen und hätten privat beschafft werden müssen.

Dr. Sebastian Wirtz, ärztlicher Leiter Rettungsdienst in Hamburg, wies in seinem Vortrag auf allgemeine Aspekte der Notfallmedizin hin. Eine der Herausforderungen, denen sich der Rettungsdienst künftig stellen müsse, sei die Bevölkerungsentwicklung. Die Altersstruktur entwickele sich in Richtung eines hohen Anteils von über 60-jährigen. Daraus entstünde ein Zuwachs von Gesundheitsdienstleistungen bei gleichzeitiger Abnahme der Erlöse. Durch die Einführung der DRG's sei von einem geringeren Angebot und einer Zentralisierung auf Seiten der Krankenhäuser auszugehen. Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, wie z.B. das Arbeitszeitgesetz, der Mangel an Notärzten und steigende Qualifikationsanforderungen an die Notärzte würden die Situation künftig zusätzlich erschweren.

"Wie kann es sein, dass politische Grenzen die Zusammenarbeit behindern?" Mit diesem Leitspruch sprach Dr. Wirtz seinen Wunsch nach einer verbesserten Zusammenarbeit mit den Nachbar-Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen an. Eine notwendige Entwicklung sei die Bildung sog. Task Forces, um Führung und Zusammenarbeit an der Einsatzstelle zu trainieren und verbessern. Als Beispiel führte er den Massenanfall von Verletzten an (z.B. Zugunglück in Eschede): "Nur wer täglich miteinander arbeitet, kann dies dann auch bei speziellen Einsatzlagen reibungslos tun", so der ärztlicher Leiter Rettungsdienst.

Interieur des Rettungszentrums Hamburg

Interieur des Rettungszentrums Hamburg

Foto: Harald Rieger

Als weitere Auffälligkeit im notfallmedizinischen Einsatzspektrum nannte Dr. Wirtz die Zunahme an psychosozialen Notfällen. Die Qualifikation der Mitarbeiter müsse angepasst werden, ggf. müsse man sich künftig aber auch mehr abgrenzen und im Vorwege die Frage beantworten, wer für solche Situationen zuständig und evtl. auch besser im Umgang geeignet sei als der Rettungsdienst. Als weiteren Problempunkt erwähnte Dr. Wirtz die fehlende Koordination mit dem Notfalldienst der KV innerhalb Hamburgs. So käme es immer wieder zu Doppelalarmierungen von RD und KV-Dienst. Außerdem würde der RD zu Patienten gerufen, die eigentlich vom KV-Dienst hätten versorgt werden können. Als Ziel formulierte er eine "bedarfsgerechte Inanspruchnahme des Rettungs- und Notarztdienstes".

Zum Abschluss dieses offiziellen Teiles wurden Dank- und Partnerschaftsurkunden ausgetauscht. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle die Besiegelung der zivil-militärischen Zusammenarbeit zwischen dem Rettungszentrum und der Landesfeuerwehrschule (LFS) Hamburg. Rechts im Bild Oberbranddirektor Farrenkopf und Oberstarzt Dr. Philipp. Die LFS bildet für die Bundeswehr Rettungsassistenten nach den zivilen Ausbildungsvorgaben aus. Waren dies in der Vergangenheit fünf Ausbildungsplätze jährlich, so werden es ab 01. Juli 2003 20 Plätze sein.

Dankesurkunden: Oberbranddirektor Farrenkopf (li.) und Oberstarzt Dr. Philipp

Dankesurkunden: Oberbranddirektor Farrenkopf (li.) und Oberstarzt Dr. Philipp

Foto: Stephan Dönitz

Anschließend traf man sich bei einem Getränk und Häppchen zu einem lockeren Plausch, bei dem Ehemalige und Aktive sowie die geladenen Gäste sich austauschen konnten. Untermalt wurde das ganze durch eine mit dem Beamer präsentierte SAR 71-Bildershow.

Der "harte Kern" wechselte dann später zum Rettungszentrum, wo man sich bei Kaffee und Kuchen in angenehmer Atmosphäre die Zeit vertrieb. Auch hier wurden Kontakte geknüpft und es ergab sich immer wieder die Gelegenheit zu interessanten Gesprächen. Die Bell UH-1D "SAR Laage 81" (auch vom LTG 63) stand auf einer Wiese zur Besichtigung und zum entern für Gäste und Kinder bereit. Ab 18.00 h war dann Grillen angesagt – alles in Allem ein schöner Geburtstag für die Crew und Gäste von Anneliese.

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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