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50 Jahre Feldversuch “Notarzt-Hubschrauber“

11.08.2017

Heute vor genau 50 Jahren, am 11. August 1967, seinerzeit auch ein Freitag, startete vom Flugplatz Neu-Anspach (Kreis Usingen, heute Hochtaunuskreis) aus ein Notarzt-Hubschrauber [sic] zu seinem ersten Notfalleinsatz. An Bord saß neben dem Piloten der praktizierende Arzt Hans-Werner Feder aus Ober-Mörlen im Kreis Friedberg (heute Wetteraukreis). “Bereits 40 Sekunden nach der Unfallmeldung wurde gestartet“, heißt es dazu im vorliegenden Einsatzbericht – siehe dazu auch den Weblink im Kontextbereich dieser News. Bereits zu Ostern und Pfingsten 1967 hatte Feder erste Notfalleinsätze geflogen. Allerdings erwiesen sich die Mitflüge Feders in einem Polizeihubschrauber als völlig ungeeignet, da polizeiliche und notfallmedizinische Belange nicht in Einklang zu bringen waren.

Als der Notarzt fliegen lernte

Vom 11. August bis 1. September 1967 wurde Hans-Werner Feder zu insgesamt 52 Einsätzen alarmiert

Vom 11. August bis 1. September 1967 wurde Hans-Werner Feder zu insgesamt 52 Einsätzen alarmiert

Foto: Hans-Werner Feder/Archiv Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

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Der ADAC-Gau Hessen e. V., der DRK-Landesverband Hessen e. V. und die Hessische Polizei unterstützten maßgeblich Feders Feldversuch. Er wurde vom Verband der Lebensversicherungs-Unternehmen e. V. und der Deutschen Krankenversicherungs AG anteilig finanziert, dauerte drei Wochen und belegte erstmals die Notwenigkeit arztbesetzter Hubschrauber im damals so genannten Unfallrettungsdienst.

Vom 11. August bis zum 1. September 1967 wurde der «fliegende Doktor» Hans-Werner Feder – übrigens ein praktizierender Arzt ohne “Dr. med.“-Titel – von der Hessischen Polizei zu insgesamt 52 Einsätzen alarmiert. Bereits am 11. August erfolgte der erste Einsatz. Feder und sein Pilot erreichten die Unfallstelle nach einer Flugzeit von neun Minuten. Der letzte Einsatz erfolgte am 1. September: Hier erreichte das Team den Notfallort nach 14-minütiger Flugzeit.

Ziel des Versuchs war es, den Notarzt [in der Originalvorlage heißt es wortwörtlich “eines geschulten Arztes“] so schnell wie möglich zum Unfallgeschehen zu bringen – und zwar möglichst innerhalb eines Zeitraumes von zehn, höchstens 15 Minuten, um das therapiefreie Intervall so kurz wie möglich zu halten.

Verkehrsunfälle standen im Fokus des Feldversuchs vom Sommer 1967

Verkehrsunfälle standen im Fokus des Feldversuchs vom Sommer 1967

Foto: Hans-Werner Feder/Archiv Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

“[Verletzte können] nach erfolgter ärztlicher Versorgung [...] im Krankenwagen langsam und schonend abtransportiert werden“, heißt es in der Pressedienstmitteilung des ADAC Hessen vom 10. August 1967; den Link zum Originaltext in voller Länge finden Sie im Kontextbereich dieser News. Wie groß sollte der sinnvolle Einsatzbereich des Notarzt-Hubschraubers [so im Original geschrieben!] sein und wie oft wird der fliegende Notarzt zu Hilfe gerufen? Das waren die Leitfragen des Pilotprojekts. ADAC und DRK waren schon im Vorfeld des Versuchs davon überzeugt, “dass durch den Versuch Feders ein weiterer Schritt zur Verbesserung des Unfallrettungswesens getan [werde]“.

Der vom damals 32-jährigen Arzt und Luftrettungspionier Hans-Werner Feder engagierte Pilot vor dem zweisitzigen Notarzt-Hubschrauber Marke Brantly mit der Kennung D-HIDE

Der vom damals 32-jährigen Arzt und Luftrettungspionier Hans-Werner Feder engagierte Pilot vor dem zweisitzigen Notarzt-Hubschrauber Marke Brantly mit der Kennung D-HIDE

Foto: Hans-Werner Feder/Archiv Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

“Wenigstens 2.000 bis 3.000 Menschenleben könnten von den 17.000 Toten, die der moderne Verkehr auf unseren überfüllten Straßen auch in diesem Jahr fordern wird, gerettet werden. Diese Vermutung bestätigte ein dreiwöchiger Versuch, den der 32-jährige Arzt Hans-Werner Feder aus der hessischen Gemeinde Ober-Mörlen in Zusammenarbeit mit dem ADAC-Gau Hessen und dem Landesverband Hessen des Deutschen Roten Kreuzes vom 11. August bis 1. September 1967 durchgeführt hat.“

So beginnt die zweite Pressedienstmitteilung vom 5. September 1967. Diesen ermutigenden Sätzen schlossen sich eine detaillierte Auflistung der Einsatzzahlen und eine kritische Auswertung des dreiwöchigen Modellprojekt an. Die Mitteilung endete wie folgt:

“ADAC und DRK sind der Meinung, dass man in den Ballungsräumen unverzüglich einen Anfang machen sollte. Im Rhein-Main-Gebiet hätte bei der großen Unfalldichte ein fliegender Arzt sofort alle Hände zu tun.“

Allerdings mussten die Frankfurter noch knapp fünf Jahren warten, bis es soweit sein sollte: “Christoph 2“ wurde am 15. August 1972 an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt am Main stationiert. Auch der erste Rettungshubschrauber, den der ADAC in München in Betrieb nahm, wurde zunächst auf den Namen “Christoph“ getauft. Später als “Christoph 1“ bezeichnet, flog dieser erst rund drei Jahre nach Feders Modellversuch: am 1. November 1970.

Was ist 50 Jahre nach dem Feldversuch geblieben?

Auf Feder geht der sinnvolle Einsatzradius von 50 Kilometer für einen Rettungshubschrauber zurück. Einsatzorte innerhalb dieses Radius kann der Hubschrauber in zehn bis 15 Minuten erreichen, eine aus notärztlicher Sicht vertretbare Zeit. Auch diese Zeitvorgabe findet man bereits in Feders Ausführungen. Dank neuer Technologien werden seit einigen Jahren 60-Kilometer-Radien als primäres Einsatzgebiet genannt.

In Hessen gibt es (Stand: August 2017) inzwischen fünf Luftrettungszentren, die das Bundesland flächendeckend aus der Luft versorgen. Bundesweit sind es derzeit rund 80 Stationen. Von den fünf hessischen Luftrettungsmitteln sind zwei Hubschrauber so genannte Intensivtransporthubschrauber (ITH), darunter einer, der 24 Stunden an sieben Tagen die Woche als Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber eingesetzt wird. Einer der fünf Hubschrauber ist weiterhin an einem Flugplatz stationiert, ein weiterer an einem speziellen Luftrettungszentrum und die drei anderen an Krankenhäusern. Obgleich alle fünf Helikopter inzwischen auch einen Rettungsassistenten bzw. Notfallsanitäter zur Unterstützung des Notarztes und als so genannter HEMS TC zur Unterstützung des Piloten an Bord haben, ist es bis heute die Hauptaufgabe der Rettungshubschrauber, den Notarzt auf dem schnellsten Wege zum Notfallpatienten zu bringen. Erst vor Ort wird dann entschieden, ob dieser dann durch die Luft in eine für ihn geeignete Klinik transportiert wird.

Auch wenn die anschließenden Hubschrauber-Testeinsätze, beispielsweise 1968 in Frankfurt am Main, 1969 in Mainz und weitere des ADAC 1968/1969 in Bayern, dazu führten, dass aus dem schlichten Notarzt-Hubschrauber der Rettungstransporthubschrauber weiterentwickelt wurde, so ist der Aufbau der bundesdeutschen Luftrettung ab November 1970 ohne die Vorleistung von Hans-Werner Feder nicht denkbar.

Übrigens ist 50 Jahre nach Feders Modellversuch im Landkreis Rostock auch ein von vielen anfangs belächelter Notarzteinsatzhubschrauber (NEH) vom Typ Robinson R44 Raven mit der Kennung “Rettung 029-01-82-01“ bzw. “Christoph Kessin“ unterwegs. Dass dieser seit Jahren in den Rettungsdienst integriert ist, ist das wohl sichtbarste Zeichen, dass der praktizierende Arzt Feder ein Visionär war, der nicht nur die Zeichen der Zeit erkannte, sondern auch Lösungsansätze erarbeitete und anschließend ziel- und lösungsorientierend handelte. Der heute 82-Jährige lebt mit seiner Familie im nordhessischen Kassel und interessiert sich weiterhin für die Belange der Luftrettung.

Seit 1. September 1995 fliegt im heutigen Landkreis Rostock der NEH “Christoph Kessin“ zuverlässig als schneller Notarztzubringer links und rechts der Warnow

Seit 1. September 1995 fliegt im heutigen Landkreis Rostock der NEH “Christoph Kessin“ zuverlässig als schneller Notarztzubringer links und rechts der Warnow

Foto: Jörn Fries

Quellen

  • Pressedienstmitteilung 18/67 “ADAC und DRK wollen es wissen: Lohnt sich der fliegende Notarztwagen?“ des ADAC-Gau Hessen vom 10. August 1967
  • Pressedienstmitteilung 19/67 “ADAC/DRK sind sich einig: Arzt-Hubschrauber für die Ballungsgebiete“ des ADAC-Gau Hessen vom 5. September 1967
  • Broschüre “UNFALLRETTUNG unter Einsatz von Hubschraubern. Bericht über einen Modellversuch.“ von Hans-Werner Feder vom November 1967

Autor

Wir danken:
Herrn Werner Wolfsfellner vom gleichnamigen MedizinVerlag aus München, der umfangreiches Archivmaterial zur Verfügung stellte

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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