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EXKLUSIV: Interview mit Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung

30.12.2016

München (BAY) ::  rth.info: Am 1. Januar 2017 wechselt die ADAC Luftrettung gGmbH vom ADAC e. V. in die ADAC Stiftung. Die Stiftung hat erst im Oktober 2016 ihr operatives Geschäft aufgenommen und kümmert sich künftig um alle gemeinnützigen, d. h. nicht vorwiegend wirtschaftlich orientierten Belange des ADAC. Welche Veränderungen ergeben sich dadurch für die ADAC Luftrettung und deren Geschäftsführung?

Frédéric Bruder:

Keine direkten, allerdings sehen wir durch die Verankerung der Luftrettung in der ADAC Stiftung in Zukunft noch mehr Möglichkeiten, neben dem operativen Betrieb der Stationen auch die Weiterentwicklung der Luftrettung allgemein voranzutreiben.

Luftrettung bei Dunkelheit wird das Thema der Zukunft sein (hier der 24-Stunden-RTH “Christoph 26“ Mitte Dezember 2016 am Nordwest-Krankenhaus Sande)

Luftrettung bei Dunkelheit wird das Thema der Zukunft sein (hier der 24-Stunden-RTH “Christoph 26“ Mitte Dezember 2016 am Nordwest-Krankenhaus Sande)

Foto: Jörn Fries

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rth.info: 2017 wird die ADAC Luftrettung in Senftenberg eine weitere RTH-Station im 24-Stunden-Betrieb einrichten. Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren unter anderem in Sande mit der Luftrettung bei Dunkelheit bzw. in der Nacht gemacht, und wie sehen Sie die zukünftigen Entwicklungen? Unsere Leserschaft interessieren vor allem die weiteren technischen Entwicklungen, aber auch die personellen...

Frédéric Bruder:

Primäreinsätze in der Nacht werden in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Wir sind darauf bestens vorbereitet, weil wir an allen unseren 24-Stunden-Stationen sehr gute Erfahrungen bei Sekundäreinsätzen gesammelt haben. In Senftenberg fliegen wir seit Jahren nachts, sogar mit NVIS [Anmerkung der Redaktion: Night Vision Goggles – Restlichtverstärkerbrillen].

In Senftenberg wurde die EC 145 bereits durch die H145 ersetzt, in Mainz wird der Tausch voraussichtlich 2017 erfolgen (hier zu sehen: der Mainzer “Christoph 77“)

In Senftenberg wurde die EC 145 bereits durch die H145 ersetzt, in Mainz wird der Tausch voraussichtlich 2017 erfolgen (hier zu sehen: der Mainzer “Christoph 77“)

Foto: Tobias Klein

rth.info: Nach Abzug von “SAR Landsberg 56“ und “SAR Landsberg 58“ aus Bayern Mitte Dezember fehlen im alpennahen Raum für die Bergrettung zwei Luftrettungsmittel mit Rettungswinde. “Christoph 15“ soll eine Winde erhalten. Geht damit einher eine Ausweitung in die Nacht? War seitens der ADAC Luftrettung auch eine alpennähere Stationierung, beispielsweise am Standort Murnau neben dem ITH ein weiterer RTH mit Rettungswinde, gedacht?

Frédéric Bruder:

In Bayern gibt es mit München und Murnau zwei ADAC-Standorte, die mit Winden operieren. Hinzu kommt die Bundespolizei, die an den Standorten Kempten und Traunstein ebenfalls Unterstützung für die Rettung aus schwierigem und bergigem Gelände bereit hält. Bei einem saisonalen Bedarf für einen weiteren Windenhubschrauber in der Murnauer Region, zusätzlich zum Christoph Murnau, würden wir jederzeit als Ansprechpartner für den Träger zur Verfügung stehen. Wir haben die lokale Erfahrung und die Infrastruktur, um hier professionelle und wirtschaftliche Lösungen anzubieten. Generell ist die Ausweitung des Windenbetriebs völlig losgelöst vom Nachtbetrieb.

rth.info: Sind aus Sicht der ADAC Luftrettung EU-weite Ausschreibungen wie jüngst in Fulda zielführend, oder halten Sie die beim bodengebundenen Notarzt- und Rettungsdienst praktizierte Bereichsausnahme für besser?

Frédéric Bruder:

Ausschreibungen haben natürlich ihre Berechtigung, der Fokus dabei sollte aus meiner Sicht immer auf die drei Faktoren Leistungen, lange Laufzeiten und angepasste Vergütungssystematik gerichtet werden. Beim Faktor „Leistungen“ müssen Qualität, Flug- und Patientensicherheit, Erfahrung, Flottengröße, Größe der Belegschaft zur Ausfallsicherheit und natürlich auch Wartungs- und Trainingsmaßnahmen und -möglichkeiten bewertet werden. Beim Kriterium „Laufzeiten“ müssen die langen Abschreibungsdauern für die Investitionen für Hubschrauber und Infrastruktur – natürlich mit Ausstiegsklauseln bei Nichteinhaltung der Qualitätskriterien – berücksichtigt werden. Schließlich brauchen wir eine angepasste Vergütungssystematik auch für längere Laufzeiten mit jährlichen vordefinierten Anpassungsmechanismen und Öffnungsklauseln für Ausnahmefälle. Hier könnte man sich am Beispiel anderer Länder in Europa oder auch weltweit orientieren.

rth.info: Im baden-württembergischen Landkreis Waldshut, genauer gesagt am Segelflugplatz Rickenbach-Hütten, soll ein ITH-Standort im 24-Stunden-Betrieb errichtet werden. Sie haben Medienberichten zufolge Ihr Interesse bekundet. Weshalb dieses Interesse an dieser Station bzw. an dem 24-Stunden-ITH-Betrieb in Baden-Württemberg?

Frédéric Bruder:

Grundsätzlich sehen wir uns als ADAC Luftrettung als einer der Pioniere der Luftrettung in Deutschland und haben dementsprechend an der Weiterentwicklung des Systems ein originäres Interesse.

rth.info: In Ihrem Weihnachtsbrief haben Sie erneut auf die Age-60-Problematik hingewiesen. Diese EU-weite Regelung besagt, dass Piloten ab 60 Jahren nicht mehr als Single Pilot fliegen dürfen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen, zumal Nachwuchs aus Reihen von Bundeswehr und Bundespolizei nicht mehr im gewohnten Maße zur Verfügung steht, was Anzahl aber auch Stundenzahl angeht...

Frédéric Bruder:

Die „Age 60-Thematik“ hat nach wie vor höchste Priorität, denn die aktuelle Regelung der EU ist aus unserer Sicht sehr unglücklich. Natürlich ist für uns als Operator das oberste Ziel und die größte Verpflichtung die höchstmögliche Flugsicherheit. Ein bedeutender Faktor hierbei ist die Gesundheit der Crews. Diese lässt sich jedoch nicht am Alter der Piloten festmachen. Wir arbeiten als ADAC Luftrettung gemeinsam mit anderen Betreibern in der EHAC daran, die Gesetzgebung in Europa entsprechend anzupassen. Letztendlich verändert sich das Berufsbild der Piloten in vielerlei Hinsicht. Es kann deshalb nur langfristige Lösungen geben, so dass sich die Kolleginnen und Kollegen frühzeitig auf die Zukunft vorbereiten können. Das muss der Arbeitgeber mit entsprechenden Tools und Programmen unterstützen. Dazu entwickelt die ADAC Luftrettung u. a. ein Altersteilzeitmodell für ihre Piloten.

Die EC 135/H135 wird von einem Piloten geflogen (hier zu sehen der RTH “Christoph 10“ im September 2015 in Wittlich, zwischenzeitlich fliegt dort eine der drei H135 der ADAC Luftrettung)

Die EC 135/H135 wird von einem Piloten geflogen (hier zu sehen der RTH “Christoph 10“ im September 2015 in Wittlich, zwischenzeitlich fliegt dort eine der drei H135 der ADAC Luftrettung)

Foto: Tobias Klein

rth.info: Das vom Bund geförderte Projekt “PrimAIR - Luftrettung als Zukunft der Notfallrettung im dünnbesiedelten Raum!?“ endete Mitte 2015. Welche Konsequenzen zieht die ADAC Luftrettung als Kooperationspartner von PrimAIR aus diesem interessanten Projekt?

Frédéric Bruder:

PrimAIR war eine sehr interessante Forschungsarbeit. Letztendlich sind solche theoretischen Ansätze immer wieder wichtig, um Visionen zu entwickeln. In einer sich wandelnden Rettungsdienst- und Krankenhauslandschaft werden Hubschrauber zweifelsohne eine wachsende Rolle spielen. In welcher Form genau wird immer regional mit den Bedarfsträgern und den Kostenträgern im Detail beurteilt werden müssen. Grundsätzlich können wir uns viele Varianten vorstellen und werden uns als ADAC auch zukünftig aktiv mit voller Kraft und Engagement an der Weiterentwicklung der Luftrettung beteiligen.

rth.info: Herr Bruder, wir danken Ihnen, dass Sie sich am Ende dieses ereignisreichen Jahres die Zeit genommen haben, um uns dieses Interview zu geben.

Im rth.info-Exklusivinterview: Frédéric Bruder, seit September 2012 Geschäftsführer der ADAC Luftrettung gGmbH

Im rth.info-Exklusivinterview: Frédéric Bruder, seit September 2012 Geschäftsführer der ADAC Luftrettung gGmbH

Foto: ADAC e. V.

Nachrichten zu diesem Thema im Archiv

Autoren

Wir danken für Unterstützung:
Jürgen Grieving von der Externen Kommunikation des ADAC e. V. für die gute Zusammenarbeit

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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